Die Religion als Irrenhaus

10. Dezember 2008 in Deutschland


Die Ausstellung "Medium Religion" in Karlsruhe zeigt Sekten, Blut und Leichen. Ein Kommentar von Karsten Huhn / idea.


Karlsruhe (kath.net/idea) Eine solche Ausstellung gab es bisher noch nie: Sie versucht unter anderen den Filmstar Tom Cruise, den Terroristenführer bin Laden, Jesus sowie Hitler und Lenin zusammenzubringen, um an ihnen das Zusammenspiel von Glauben und Massenmedien deutlich zu machen.

Unter dem Titel „Medium Religion“ zeigt das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe noch bis 19. April an den völlig unterschiedlichen Personen, wie Videos, Bilder und Internetseiten das heutige Verständnis von Religion prägen. Die These der Aussteller: Die Religionen bedienen sich erfolgreich der Massenmedien und prägen so das öffentliche Bewusstsein.

Man muss sich diese Ausstellung als eine Art Vorhölle vorstellen. Wer sie betritt, lasse alle Hoffnung fahren! Man hört Trommeln und Fanfaren, Nachrichtensprecher plärren, es klirrt, flimmert und flackert. Man sieht riesige Jesusstatuen und einen Buddha, von irgendwoher ruft ein Muezzin, in einem Video wird eine Kuh geschächtet, Blut spritzt. Fast immer hört oder sieht man mindestens drei Exponate gleichzeitig. Diese Ausstellung ist so unübersichtlich wie die Welt, in der wir leben.

Ein Gang durchs Gruselkabinett: Der Terroristenführer Osama bin Laden spricht seine Drohbotschaften nach dem 11. September. Der Schauspieler Tom Cruise wirbt mit großer Medaille um den Hals für Scientology. Alte Filmaufnahmen zeigen die pfingstkirchliche Heilungspredigerin Kathryn Kuhlman im weißen Kleid und mit einem Holzkreuz auf der Brust. „Ich habe euch nichts zu geben außer meiner Liebe“, haucht Kuhlman und wirbt für das „Ruhen im Geist“. Dann schubst sie Leute um, die von Helfern aufgefangen werden.

Nach jeder Bluttat beten

Gezeigt wird auch das Videospiel „Left Behind“ (im deutschsprachigen Raum bekannt unter „Finale“) der evangelikalen Autoren Jerry B. Jenkins und Tim La Haye. Es bietet einen apokalyptischen Endkampf mit Panzern und Hubschraubern. Ziel des Spieles: möglichst viele Menschen zu bekehren und dem Antichristen nicht die Erde zu überlassen. Der Computerspieler soll Kirchen bauen und missionieren und zur Not auch mal töten. Nach jeder Bluttat kann der virtuelle Held durch Gebet seine „Seelenpunkte“ wieder erhöhen. Was für ein gräulicher Unsinn!

Selbstmordattentäter, Scharlatane und Gotteskrieger – ist alle Religion also Teufelszeug? So einfach machen die Aussteller es dem Besucher nicht. So erinnert ein offener Sarg, in dem eine Lenin-Nachbildung liegt, daran, dass auch die Aufbahrung des Kommunistenführers im Moskauer Mausoleum nichts anderes ist als Religion: „Das größte Wunder aller Zeiten und Völker war natürlich der ewig lebendige Körper Lenins“, schreiben die Künstler.

Nadeshda Krupskaja, Lenins Witwe, warnte davor, den Leichnam anzubeten, man solle doch lieber Kindergärten und Schulen bauen, um Lenins Andenken in Ehren zu halten. Vergebens. Bis heute ist die präparierte Leiche zu besichtigen. Alle drei Jahre bekommt Lenin einen neuen Anzug und Krawatte. Lenins Leiche? Nichts anderes als eine Reliquie, die zeigt, dass es die Sehnsucht nach Unsterblichkeit auch im Kommunismus gibt!

Ein weiteres Beispiel, wie Religion auch im scheinbar Nichtreligiösen fortlebt: Ein Gymnastikvideo mit Paul Eugene, einem durchtrainierten, gutgelaunten Fitnesstrainer. Er steppt und groovt und fordert seine Zuschauer zur Nachahmung auf. Die Gymnastik ersetze die Morgenandacht, der Aerobic-Kurs den Gottesdienst, schreiben die Aussteller. Gehuldigt werde hier nicht mehr Gott, sondern dem eigenen Körper.

Revolutionärer Selbstmord

Besonders bedrückend sind Videoaufnahmen von der Bhagwan-Sekte: Menschen in roten Kleidern, andere nur in Unterwäsche, halten sich an den Händen und tanzen in Trance. Später sieht man sie zuckend und schreiend am Boden liegen.

Es kommt noch schlimmer: Im selben Raum werden O-Töne aus Jonestown eingespielt, einer Siedlung im südamerikanischen Staat Guyana, in der der ehemalige Methodistenprediger Jim Jones 1978 über 900 Menschen in den Massenmord trieb. „Eltern! Eltern!“, ruft Jones. „Ich fordere euch auf, damit aufzuhören, dass ihr eure Kinder aufregt, wo sie doch nur zur Ruhe gehen. Alles, was sie tun, ist, einen Trunk zu nehmen, der sie einschlafen lässt. … Wir haben keinen Selbstmord begangen. Wir haben einen Akt des revolutionären Selbstmords begangen, in Protest gegen die Bedingungen einer inhumanen Welt.“

Noch nicht genug des Wahnsinns? Und weiter geht’s: Ein Exponat zeigt 1.000 Bücher von Hitlers „Mein Kampf“ auf Arabisch – das Buch ist in arabischen Ländern wegen der judenfeindlichen Aussagen seit Jahren ein Bestseller.

Eine Installation zeigt vier israelische Soldaten – Kommandant, Schütze, Fahrer und Ladeschütze –, die über Krieg und Frieden aus der Sicht von Panzerfahrern berichten. Der Berliner Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief, der Theaterberserker von der traurigen Gestalt, inszeniert sich selbst im Kampf gegen Krankheit und Tod und hadert mit Gott. Gleich nebenan ist Papst Johannes Paul II. auf Videoaufnahmen kurz vor seinem Tod im Petersdom zu sehen.

Jesus als Werbeikone

Jesus wird als Werbeikone zweckentfremdet: Neben einem McDonald’s-Logo steht „Dies ist mein Leib“, neben dem Coca-Cola-Schriftzug „Dies ist mein Blut“. Das soll Kapitalismuskritik sein. Denn was alle Konsumenten verbinde, sei die Religion, behauptet der Künstler.

Und weil Kunst und Provokation für viele Kreative heute identisch ist, sehen wir an der Wand gegenüber gleich noch einen weiteren Schocker: Drei Kreuze sind dort zu sehen, an denen jeweils eine Dose Sprühkleber mit dem Slogan „No more nails“ („Keine Nägel mehr“) hängt. Auf der nebenstehenden Erklärung heißt es: „Die implizite Hypothese, dass der christliche Heiland auch ohne Nägel, allein mittels Klebstoff hätte gekreuzigt werden können, mutet ebenso grotesk an, wie sie blasphemisch ist.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Aber das ist nur ein vergleichsweise harmloses Spiel mit Ideen. Noch schrecklicher ist das Experiment einer kubanischen Künstlerin: Sie ließ sich künstlich mit dem Sperma eines Toten befruchten und wurde schwanger. Der Versuch am eigenen Körper soll zeigen, wie stark Leben und Tod miteinander verbunden sind, so die Künstlerin. Provokation um der Provokation willen. Auch hier gibt die nebenstehende Erklärung umfassend Auskunft: „Wegen biologischer und erblich bedingter Umstände der Frau kam es zu einem natürlichen Abort mit schweren psychologischen Folgen.“

Alle glauben!

Diese Ausstellung ist ein Irrenhaus, das an fast jeder Ecke nach Tod und Verwesung stinkt. Sie zeigt, wie wir Menschen mit uns selbst ringen und verzweifelt nach Halt und Heil suchen. Und sie zeigt, dass es unmöglich ist, nicht religiös zu sein. Selbst wer nicht glaubt, glaubt! Der Atheist schafft sich dann eben seinen eigenen Gott – verkleidet als Materialismus, Vernunft, Kunst oder als Ich. Alles kann dem Menschen zur Religion werden, alles kann er missbrauchen. Die dunkle Seite der Menschheit wird hier in ihrem ganzen verheerenden Ausmaß vorgestellt.


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