Simbabwe: Zu spät für Diplomatie

28. August 2008 in Weltkirche


Interview mit dem Jesuitenpater Oskar Wermter über die alltägliche Gewalt in Simbabwe, die Lügenpropaganda und die christliche Kultur als einzige Rettung für die afrikanische Familie


München (kath.net/KIN)
Interview mit dem Jesuitenpater Oskar Wermter über die alltägliche Gewalt in Simbabwe, die Lügenpropaganda und die christliche Kultur als einzige Rettung für die afrikanische Familie. Das Interview führte Volker Niggewöhner vom weltweiten katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“.

VOLKER NIGGEWÖHNER: Worunter leiden die Menschen in Simbabwe derzeit am meisten?

PATER OSKAR WERMTER: Wir haben es mit zwei großen Problemen zu tun. Viele Menschen leiden unter der Hungernot. Lebensmittel können sie oft wegen der Hyper-Inflation nur auf dem Schwarzmarkt zu erhöhten Preisen kaufen. Es gibt auch einfach zu wenig Lebensmittel. Nichtstaatliche Organisationen, darunter auch kirchliche, dürfen keine Lebensmittel verteilen. Dieses Verbot wird zwar von uns umgangen, aber das sind nur Notmaßnahmen.

Ein zweites Problem stellen die Schlägertrupps der Regierungspartei dar, die vor allem auf dem Land ihr Unwesen treiben. Außerdem übt die Polizei massive Gewalt gegen die Bevölkerung aus. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine andere Regierung, und die Regierung hat Angst, die Macht zu verlieren. Ich habe Familien besucht, die von der Polizei attackiert worden sind. Eine Frau war an der Wahlorganisation beteiligt. Die Wahlagentin ist Mitglied der Opposition und musste sich verstecken. Großmutter und Tochter wurden daraufhin systematisch zusammengeschlagen und gefoltert, damit sie das Versteck preisgeben. Es geschehen hier unmenschliche Dinge, die sich ständig wiederholen. Ein Stadtrat kam mit schweren Knochenbrüchen davon, andere Menschen mussten ihre Haltung mit dem Leben bezahlen; zum Teil wurden sie auf bestialische Weise umgebracht.

Waren Sie selbst schon in Gefahr?

P. Oskar: Schlägertrupps trieben auch in den Teilen der Hauptstadt Harare ihr Unwesen. Das waren junge Arbeitslose, die keine hohe Bildung haben. Sie wollten den Feinden der Regierungspartei und den Unterstützern der Opposition das Fürchten lehren. Da war auch ich bedroht, weswegen ich mich für drei Wochen aus meiner Pfarrei zurückziehen musste. Passiert ist mir nichts, ich kann weiterhin meiner Arbeit nachgehen, aber ich bin natürlich bei den entsprechenden Dienststellen bekannt.

Mehr als drei Millionen Menschen haben als Flüchtlinge Simbabwe schon verlassen, viele in Richtung Südafrika. Wie ist dort die Situation?

P. Oskar: Zum Teil sind hoch qualifizierte Leute aus dem Land geflohen, die ihre Familien durch Zuwendungen unterstützen. Unter den Flüchtlingen befinden sich auch ganz einfache Menschen, die im Ausland arbeitslos sind. In den Flüchtlingslagern haben wir es oft mit HIV-Infektionen, sexuellen Übergriffen und menschlichem Notstand zu tun. Die Kirche hilft, so gut es geht. Auch wir Jesuiten sind hier tätig. Manchmal wissen wir gar nicht, wie wir mit der Situation fertig werden sollen.

Könnte Südafrika nicht mehr Einfluss nehmen?

P. Oskar: Südafrika könnte enormen Druck auf die Regierung Mugabes ausüben, wenn es wollte und hat das in der Vergangenheit durchaus schon getan. Simbabwe ist sehr von Südafrika abhängig, da es ein Binnenland ist. Das Land bezieht von dort seinen Strom. Mugabe und seine ZANU-Partei verstehen nichts anderes als massiven Druck. Aus diesem Grund nimmt Südafrika eine Schlüsselstellung zur Lösung der Probleme ein.

Könnten andere, auch westliche, Staaten wirksam Einfluss nehmen?

P. Oskar: Simbabwe ist ein afrikanisches Problem. Die so genannte „Erste Welt“ kann nur indirekt diplomatischen Einfluss über andere afrikanische Länder ausüben. Wegen der Kolonialzeit wird es auch heute noch übel genommen, wenn von außen Druck ausgeübt wird. Es wäre wesentlich besser, wenn die afrikanischen Länder eine klare Linie einschlagen und erklären würden, dass sie mit den Machenschaften Mugabes nicht einverstanden sind. Sie müssen Mugabe unter Druck zu setzen, um Recht und Gesetz wieder Geltung zu verschaffen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie werde sich für eine Verschärfung der EU-Sanktionen einsetzen. Bringt ein Embargo etwas?

P. Oskar: Die herrschende Clique muss diszipliniert werden. Natürlich muss die zivilisierte Welt zeigen, dass sie das Geschehen in Simbabwe nicht akzeptiert, dass sie die brutale Gewalt gegen die Armen und die Opposition verabscheut. Auch von Europa muss ein Zeichen gesetzt werden.

Die Kirchen haben die jüngste Präsidentenwahl als manipuliert verurteilt ...

P. Oskar: ... und von Seiten der Regierung wurde dieser Vorwurf ziemlich ignoriert. Indirekt haben die Kirchen erklärt, Mugabe sei kein legitimer Präsident. Die katholische Bischofskonferenz hat an Ostern 2007 in sehr deutlicher Form die Regierung in einem Hirtenwort scharf kritisiert. Die Führungs-Elite hat sich in den vergangenen Jahren enorm bereichert und hatte dabei nur das eigene Wohlergehen im Auge. Sie glauben, weil sie damals die Unabhängigkeit erkämpft haben, hätten sie auf ewig das Recht zu regieren. Die breite Bevölkerung wurde dabei vernachlässigt. Heute kämpfen die Menschen um dieselben Rechte, wie vor dreißig Jahren im Krieg. Die fundamentale Kritik der Kirche am Regime wurde entrüstet zurückgewiesen. Mugabe war entsetzt und versucht, die Kirche auf seine Seite zu ziehen. Nach außen mimt er den frommen Katholiken.

Wie ist die Lage der Kirche unter Mugabes Regierung insgesamt?

P. Oskar: Die Kirche ist gespalten. Bei den jüngsten Ereignissen haben Katholiken auf beiden Seiten gekämpft. Natürlich haben die Parteien auf die Menschen Einfluss. Aus diesem Grund ist die Kirche verstärkt gefordert, die Menschen zu versöhnen. Wir bereiten uns schon jetzt darauf vor. Dabei ist es wichtig, die Fakten zu notieren und Informationen zu den Geschehnissen in diesen Wochen zu sammeln. Wir müssen für den Tag gerüstet sein, an dem wir mit den Menschen sachlich über die Ereignisse sprechen können.

Welche weiteren Aufgaben stehen für die katholische Kirche an?

P. Oskar: Dringend notwendig bleibt die politisch-soziale Bildungsarbeit. Unser Jesuitenorden ist auf diesem Gebiet schon sehr lange tätig, wobei großer Erfolg bisher ausgeblieben ist. Diese Arbeit braucht mehr Breitenwirkung, die Menschen müssen mehr mit der christlichen Soziallehre vertraut gemacht werden. Simbabwe benötigt eine neue Verfassung, die von den Bürgern selbst geschaffen werden muss. Vor deren Verabschiedung muss offen über die möglichen Regelungen diskutiert werden. Mugabe hat am Parlament vorbei regiert. Für die Zukunft benötigt Simbabwe eine klare Gewaltentrennung. Es muss ein neuer Verfassungsstaat aufgebaut werden. Und die katholische Kirche muss auch hier tätig werden und auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen.

Was tut die Kirche, speziell Ihr Orden, zur Linderung der sozialen Not?

P. Oskar: Wir Jesuiten haben uns auf die Aufklärung und Verhütung von AIDS spezialisiert. Einige Mitbrüder sind fast ausschließlich in diesem Bereich tätig. Einmal wöchentlich kommen die Erkrankten und erhalten von uns Medikamente. Wir kümmern uns auch um die Witwen und Waisen. So genannte ARV-Medikamente ermöglichen HIV-Erkrankten, ein normales Leben zu führen, sofern die Behandlung früh genug aufgenommen, regelmäßig und stetig durchgeführt wird. Das müssen die Menschen noch lernen.

Wir versuchen, ihnen die Scheu zu nehmen, sich auf die Erkrankung testen zu lassen. Oft sind sich die Menschen selbst der größte Feind. Sie wollen nicht wissen, ob sie erkrankt sind. Aus diesem Grund ist weiterhin viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Leider sterben noch viel zu viele Menschen an dieser Erkrankung. Ich selbst habe schon einige Mitarbeiter verloren.

Welche Rolle spielen die Familien bei der Lösung der Probleme?

P. Oskar: Die afrikanische Kultur ist eine Kultur der Familie. Und soweit afrikanische Kultur überleben kann, kann sie es nur durch den geistig-geistlichen Einfluss der christlichen Kirchen überleben. Die enormen sozialen Umbrüche treffen die Familien sehr hart. Deswegen brauchen sie die christliche Kirche, um die afrikanische Familie, das Herzstück afrikanischer Kultur, zu retten. Oft müssen die Ehemänner weit weg von der Familie ihrer Arbeit nachgehen. Da kommt es nicht selten zu Untreue. Entweder finden die Männer eine neue Freundin oder sie gehen zu Prostituierten. Dadurch werden Männer infiziert, durch sie wiederum ihre Ehefrauen. Durch den wirtschaftlichen Verfall können viele junge Leute gar nicht mehr heiraten, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Immer häufiger erleben wir eheähnliche Verbindungen, die enormen Einfluss auf die Kultur von Ehen und Familie ausüben. Tatsächlich ist der Bestand der Familie hier bedroht. Es ist auch eine Aufgabe für die Kirche, die Ehe zu retten. Das Eheverständnis muss sich wandeln. Hilfreich wäre ein wirtschaftlicher Aufschwung. Unter den jungen Menschen sind achtzig Prozent arbeitslos.

Sie sehen eine "Zeit für kompromisslose prophetische Rede" in Simbabwe. Was heißt das?

P. Oskar: Meiner Meinung nach muss der Führung in diesem Land klar gemacht werden, dass sie die Bevölkerung in Stich gelassen hat. In Simbabwe wurden zwei falsche Götter angebetet, nämlich Macht und Reichtum. Es braucht eine Kehrtwende. Die Regierenden wollten keine Kritik und keine Wahrheit hören. Viele Menschen wurden an der eigenen Regierungspropaganda trunken gemacht. Sie haben in der Lüge gelebt. Mit einer undiplomatischen Rücksichtslosigkeit muss nun die Wahrheit gesagt werden. Heute ist es zu spät, nur leisezutreten und diplomatisch zu sein.

Der Brief der katholischen Bischöfe an Ostern 2007 war sehr deutlich. In diesem Stil muss fortgefahren werden. Es gibt immer Leute, die mit einer solchen Art Umgang nicht zufrieden sein werden. Aber es gibt auch für die katholische Kirche Notwendigkeiten, mit der Regierung auf bestimmten Ebenen weiterhin zusammen zu arbeiten. Wir haben nämlich auch gemeinsame Interessen, etwa im Bereich Erziehung und Gesundheitswesen. Die katholische Kirche hat mehr als 120 Schulen, außerdem über fünfzig sehr wichtige Krankenhäuser auf dem Land. Deswegen ist ein Mindestmaß an Kontakt notwendig. Weiterhin gilt aber: Wir müssen deutlich sprechen. Es gibt Hunger und Durst nach Wahrheit in einem Land, das so lange lügnerischer Propaganda ausgesetzt worden ist.

Pater Oskar Wermter SJ, 66, ist seit 1971 ununterbrochen in Simbabwe tätig und war zwischen 1987 und 2001 verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Bischofskonferenz. Bei „Kirche in Not“ kann eine Hör-CD mit dem vollständigen Interview mit Pater Oskar Wermter SJ unentgeltlich bestellt werden: Telefon 0 89 / 7 60 70 55, Fax: 0 89 / 7 69 62 62, E-Post: [email protected]


© 2008 www.kath.net