Das blutige Ende einer Hoffnung

22. August 2008 in Chronik


Die Hymne des Prager Frühlings war ein "Gebet für Marta". Was es für die Kirche bedeutete, als am 21. August 1968 der Warschauer Pakt in Prag einmarschierte. Von Martin Kastler/Die Tagespost.


Prag (kath.net/Die Tagespost) Prag am Dienstag, den 20. August 1968. In der Abenddämmerung rollen die ersten Panzer der Sowjets und ihrer Verbündeten des Warschauer Paktes am Nationalmuseum vorbei über den Wenzelsplatz in die Prager Altstadt. Die „Operation Donau“ läuft für Moskau nach Plan.

Zum Hohn der Geschichte: Die tschechischen Kommunisten ließen einst die Dominante des oberen Wenzelsplatz zerstören und bauten direkt vor dem Nationalmuseum eine vierspurige Stadtautobahn, die bis heute unbeliebt ist: im freundlichen Jargon als „Problemzone“ bezeichnet, im Normalfall als „Schande“. Zum Hintergrund: Diese Nord-Süd-Magistrale hat auch militärische Bedeutung, denn sie ist für Panzerfahrzeuge ausgelegt worden.

Den Vatikan als Feind der Tschechoslowakei beschimpft

Ungefähr 14 000 Mann Kampftruppen und 4 500 Panzer waren an der geheim vorbereiteten Militäraktion des Warschauer Paktes beteiligt. Es gab rund 100 Todesopfer und über 300 Schwerverletzte. Heute erinnert ein schlichtes Mahnmal an die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings: an genau der Stelle des Wenzelsplatzes, wo sich der 21-jährige Student namens Jan Palach fast ein halbes Jahr nach dem Einmarsch am 16. Januar 1969 auf dem Prager Wenzelsplatz selbst verbrannte, um ein Zeichen gegen Resignation und Lethargie zu setzen.

Im Zuge der Besetzung verließen Zehntausende die Tschechoslowakei: Allein knapp 100 000 Menschen flüchteten nach Österreich und in die Bundesrepublik Deutschland, rund 66 000 Urlauber kehrten nicht mehr in ihre Heimat zurück.

„Das, was in der Tschechoslowakei passierte, hätte man sich auch für die DDR gewünscht“, erinnert sich die deutsche Bundeskanzlerin und damalige DDR-Bürgerin Angela Merkel im SZ-Magazin vom 29. Februar 2008. Bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 40-jährigen Jahrestags des Prager Frühlings in Berlin sprach Merkel von einer „Welle, deren ganze Kraft sich erst im Rückblick zeigte“ und lobte den „Ruf mutiger Menschen nach Selbstbestimmung“.

Welche Bedeutung hatte das Jahr 1968 und die Besetzung für die tschechische Kirche? Nach der Machtübernahme der Kommunisten in Prag im Jahr 1948 fuhr man einen sehr repressiven Kurs gegen die katholische Kirche: Katholische Publikationen, Verlage wurden verboten, kirchliche Schulen geschlossen. Der Vatikan wurde als Feind der Tschechoslowakei beschimpft und der Apostolische Nuntius aus der Moldaumetropole ausgewiesen. Nach sowjetischem Vorbild wurde im Oktober 1949 ein staatliches Kirchenamt eingerichtet, das das gesamte kirchliche Leben überwachen und steuern sollte. Im Jahre 1950 wurden dann die Orden verboten und die Mönche und Nonnen in Konzentrationsklöster und Umerziehungslager interniert.

Das Hauptproblem zwischen Rom und Prag war die staatlich geförderte Friedenspriesterbewegung, die der kommunistischen Partei näher stand als der Kirche, sich allerdings im „Prager Frühling“ endgültig auflöste. Diese lebte 1971 jedoch unter neuem Namen wieder auf: „Pacem in terris“. Ziel des Staates war es, wieder mehr Kontrolle über die Kirche zu erlangen

Als die Truppen einmarschierten, stand er am Altar

Der Name wurde der Friedens-Enzyklika Johannes XXIII. vom April 1963 entlehnt. Mitglieder von „Pacem in terris“ wurden vielfach mit besseren Gehältern und sonstigen Gratifikationen belohnt wie Auslandsreisen und Lehrerlaubnis an theologischen Fakultäten. 1982 verbot der Vatikan die Mitgliedschaft in dieser prokommunistischen Organisation, die nach der Revolution im Dezember 1989 aufgelöst wurde.

Eine Reihe von Freiräumen hatte sich mit dem „Prager Frühling“ für die geknebelte Kirche aufgetan: Einige Bischöfe kehrten zurück, die Ordensgemeinschaften konnten wieder aktiv werden, Religionsunterricht und Wallfahrten waren möglich, auch einige geistliche Bewegungen durften in die Tschechoslowakei, allen voran die Fokolar-Bewegung der kürzlich verstorbenen Chiara Lubich.

Der Prager Kardinal Miloslav Vlk erlebte den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in Budweis, wo er während des Prager Frühlings 1968 zum Priester geweiht und Bischofssekretär werden konnte. „Jeden Tag hatte ich um 5.15 Uhr eine heilige Messe in der Kathedrale von Budweis für die arbeitenden Menschen. Am 21.8. kam eine Frau vor der Messe zu mir und erzählte mir ,Die Russen haben uns besetzt!‘ Ich musste bei der Messe ständig daran denken und habe diese Information dann den anderen Gläubigen mitgeteilt. Danach hat der Bischof von Budweis einen Protest formuliert, den wir an das Budweiser Radio gegeben hatten.“

Der „Prager Frühling“ sei nicht nur für die tschechische Geschichte, sondern auch für die Kirche ein „wichtiges Ereignis gewesen“, so der Prager Kirchenhistoriker Jaroslav ebek: Die Katholiken hätten die Erfahrung gemacht, dass die „zum Schweigen gebrachte Kirche noch sprechen kann“, wieder ein Stück selbstbewusster geworden sei. Aber nicht nur die Sprache der Kirche fand Gehör, auch die Musik.

Die Sängerin wurde zum Symbol der Öffnungsbemühungen

Die beliebte und weithin erfolgreiche tschechische Sängerin Marta Kubiová sang in den Tagen der Besetzung das Lied „Modlitba pro Martu“, auf Deutsch „Gebet für Marta“. Es wurde zur „Hymne“ des Prager Frühlings. Die Sängerin selbst wurde zu einem Symbol für die Öffnungsbemühungen der Tschechoslowakei und des sogenannten Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Mehrfach ausgezeichnet, wurde sie in Folge der Niederschlagung der Reformbewegung zu einer „Persona non grata“. Als die Sängerin in den siebziger Jahren die Charta 77 unterzeichnete und nach der Verhaftung von Václav Havel eine ihrer Sprecherinnen wurde, erhielt sie 30 Jahre Berufs- und Auftrittsverbot. Erstmals sang sie wieder öffentlich im November 1989 live – und zwar bei den Demonstrationen gegen die Kommunisten auf dem Prager Wenzelsplatz. Neben der Nationalhymne ertönte wieder ihr bekanntes Lied aus der Zeit der Niederschlagung des Prager Frühlings: „Modlitba pro Martu“:

„Friede sei mit diesem Land. Ärger, Neid und Streit, sie seien verbannt. Jetzt, wo die verlorene Herrschaft über deine Angelegenheiten zu dir zurückkehrt. Du Volk, sie kehrt zu dir zurück.

Vom Himmel zieht langsam die Wolke weiter und jeder erntet seine Saat. Mein Gebet spreche ich zu denen, deren Herzen nicht verbrannt wurden durch die Zeit des Ärgers, wie Blüten durch den Frost.

Friede sei mit diesem Land. Ärger, Neid und Streit, sie seien verbannt. Jetzt, wo die verlorene Herrschaft über deine Angelegenheiten zu dir zurückkehrt. Du Volk, sie kehrt zu dir zurück.“


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