Der König der Barmherzigkeit

2. Juni 2008 in Weltkirche


Die Botschaft der Schwester Faustyna Kowalska und das geistliche Testament Johannes Pauls II. Papst Benedikt hat sich beides zu Eigen gemacht: Sucht das Antlitz Jesu Christi! - Von Guido Horst / VATICAN-Magazin


Rom (kath.net/Vatican-Magazin)
Die hohe Übereinstimmung des „Volto Santo“ von Manoppello mit den Zügen jenes Christus-Bildes, das im Jahr 1935 nach den Visionen von Schwester Faustyna Kowalska angefertigt wurde - über die das VATICAN-Magazin in seiner Mai-Ausgabe berichte hat -, schlägt derzeit in Polen hohe Wellen. Schon jetzt hebt die Entdeckung dieser Wechselbeziehung die Debatte um das menschliche Antlitz Gottes in Christus auf eine neue Ebene.

Am 5. Oktober 1938 starb in einem Kloster in Łagiewniki bei Krakau die polnische Ordensfrau Maria Faustyna Kowalska. Am 1. September 1939 brach mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg aus. Deutsche Truppen überrannten das Land, auf dessen Boden ab 1940 das Vernichtungslager Auschwitz zum einzigartigen Fanal dafür wurde, wozu menschliche Grausamkeit fähig ist – eiskalt berechnend, ungeheuerlich unbarmherzig. Auschwitz liegt gerade 25 Kilometer von Łagiewniki entfernt, wo der barmherzige Jesus sich der Mystikerin Faustyna offenbarte, wo die Bewegung der Göttlichen Barmherzigkeit ihren Ursprung nahm, die Papst Johannes Paul II. mit der Heiligsprechung Faustynas im Heiligen Jahr 2000 eindrucksvoll bestätigt hat.

Die Hölle von Auschwitz und der Ort des Erbarmens. Zeitlich und räumlich in so enger Nachbarschaft. Verwirrend und aufreizend zugleich. Wollte Gott seine Barmherzigkeit an dem Punkt der Menschheitsgeschichte zeigen, der für immer mit der bis heute größten Untat seiner Geschöpfe verbunden bleibt? Doch die Geschichte ist weitergegangen. Nicht nur die Bewegung der Göttlichen Barmherzigkeit, sondern auch die Geschichte eines Bildes, das Schwester Faustyna in ihren Visionen sah.

Rom am vergangenen 2. April. Es ist der dritte Todestag Johannes Pauls II. Dreitausend Teilnehmer haben sich zum ersten Weltkongress der Barmherzigkeit angemeldet. Vier Tage wird viel gebetet in den Kirchen der Ewigen Stadt. Kerzen vor dem Eingang zur Kirche Santo Spirito in Sassia, direkt neben der Jesuitenkurie unweit des Vatikans. Drinnen das ausgesetzte Allerheiligste. Und da hängt es über dem Altar, das Gnadenbild des barmherzigen Erlösers. Ein fast süßlicher Jesus, für viele eher Kitsch als Kunst. Die linke Hand des Heilands zeigt auf sein Herz, von dem weiße und rote Strahlen ausgehen. Doch dieses Bild, das in zahllosen Kopien rund um die Welt gegangen ist, war gar nicht jenes, das Schwester Faustyna in Auftrag gegeben und selber noch gesehen hat. Es entstand erst vier Jahre nach ihrem Tod. Dazu gleich mehr.

Die Kardinäle Christoph Schönborn aus Wien und Stanislaw Dziwisz prägten den römischen Weltkongress der Barmherzigkeit. Über allem aber schwebte der Geist Johannes Paul II. Beim
Eröffnungsreferat in der Laterans-Basilika erinnerte Kardinal Schönborn daran, dass Johannes Paul II. am Vorabend des Sonntags der Barmherzigkeit gestorben ist. Sein Sekretär Stanislaw Dziwisz hatte gerade begonnen, die Messe dieses Feiertags zu lesen. „So endete sein irdischer Weg am Sonntag der Barmherzigkeit, den er selber im Jubiläumsjahr 2000 in das Kirchenjahr eingeführt hatte“, meinte Schönborn.

„Damals, am Weißen Sonntag des Jahres 2000, hatte er zugleich mit der neuen Namensgebung für diesen Sonntag der Osteroktav Schwester Maria Faustyna Kowalska heilig gesprochen. Sie war die
erste Heilige des neuen Jahrtausends. Es ist schwer, ja unmöglich, in diesem Zusammentreffen nicht ein Zeichen des Himmels zu sehen. Hat nicht Gott selber“, fragte der Kardinal, „seine Unterschrift
unter ein ganzes Lebensprogramm gesetzt, das Papst Johannes Paul II. immer wieder ausdrücklich als seine Sendung bezeichnet hat?“

Die große Lehrstunde, in der sich der polnische Papst fast öffentlich ganz der göttlichen Barmherzigkeit anvertraute, war schließlich sein Tod. Tausende standen betend auf dem Petersplatz, während oben, hinter den Fenstern der terza loggia des Apostolischen Palastes, der sterbende Papst sein letztes Zeugnis dafür gab, dass die Seelen jenseits der Schwelle des Todes das Angesicht eines liebenden Gottes erwartet.

Bei der Gedenkmesse zum Todestag Papst Wojtylas am vergangenen 2. April auf dem Petersplatz, erinnerte so auch Benedikt XVI. daran: „Die Barmherzigkeit Gottes“, so habe es sein Vorgänger von sich selbst gesagt, „ist der bevorzugte Schlüssel zum Verständnis seines Pontifikats. Er wollte, dass die Botschaft der barmherzigen Liebe Gottes alle Menschen erreiche, und ermahnte die Gläubigen, deren Zeugen zu sein.“ Und bereits beim Gebet des „Regina Coeli“ in Castelgandolfo am Sonntag zuvor hatte Papst Benedikt erklärt, dass dieses Erbe Johannes Pauls die ganze Kirche in die Pflicht nehme: „Wie die Botschaft von Schwester Faustyna, so führt auch die seinige hin zum Antlitz Christi, der höchsten Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes.

Dieses Antlitz ständig betrachten: Das ist das Erbe, das er uns hinterlassen hat und das wir mit Freude annehmen und uns zu Eigen machen wollen.“ Das Antlitz Christi, die höchste Offenbarung Gottes. Was heißt das für das Bild vom barmherzigen Jesus, das während des Kongresses überall in Rom zu sehen war? Dazu will die Geschichte dieser Darstellung einer Vision der polnischen Ordensfrau genau erzählt sein: Wie aus ihren Tagebüchern hervorgeht, hatte Schwester Faustyna 1931 eine Vision, in der sie Jesus in der im Bild angedeuteten Weise sah und den Auftrag erhält, ein solches Bild zu malen. Natürlich war sie keine professionelle Künstlerin und ihre Versuche scheiterten. In den folgenden Jahren rang sie immer wieder mit diesem Auftrag, suchte Rat bei ihren Beichtvätern.

Schließlich erhält 1934 der Künstler Eugeniusz Kazimirowski den Auftrag, dieses Bild nach den Angaben Faustynas zu malen. Als sie es dann aber zum ersten Mal sah, weinte sie, weil es – natürlich
– nicht der Vision entsprach und nicht entsprechen konnte. Das Gemälde vom barmherzigen Jesus wurde aber dennoch 1935 öffentlich ausgestellt und erhielt 1937 seinen Platz in der Michaelskirche
im litauischen Wilna. Aber genau dieses Bild gibt, wenn auch unvollkommen, die Vision Faustynas wieder.

Dagegen ist der barmherzige Jesus, der heute in der ganzen Welt bekannt ist, das Werk des Künstlers Adolf Hyla, der das Bild erst 1943 als eigenes Votivbild für den Krakauer Konvent der inzwischen
verstorbenen Mystikerin malte. Beim Vergleich der beiden Bilder fällt die viel größere Diskretion des ursprünglich von Faustyna selbst in Auftrag gegebenen Bildes auf: Jesus zeigt sich frontal, mit etwas nach vorn geneigtem Haupt, der in würdevoller, straffer Haltung, doch irgendwie sehr zurückhaltend auf seine Herzwunde zeigt, aus der die weißen und roten Lichtstrahlen herausströmen. Es ist ein Jesus von unendlicher Zartheit, aber nicht weichlich, so wie es viele beim Betrachten des Bildes von Adolf Hyla empfinden.

Und dieser Jesus von Wilna birgt eine Überraschung, von der Schwester Blandina Paschalis berichtet, die Hüterin des „Volto Santo“ von Manoppello: „Der Schritt von diesem Jesus-Bild aus Wilna
zum barmherzigen Antlitz Jesu im Schleier von Manoppello ist unvorstellbar klein“, erklärt uns die deutsche Ordensfrau, die es in die italienischen Abruzzen zog, um das geheimnisvolle Tuch aus Muschelseide aus nächster Nähe zu studieren. Dazu gehören auch so genannte „Soprapositionen“, durchsichtige Folien vom „Volto Santo“, die man dann über die Folien anderer Christus-Bilder legt. „Es genügt eine vorsichtige Längung – man kann auch sagen Aufrichtung – des Gesichtes“, berichtet Schwester Blandina weiter von ihrer Entdeckung, „und beide verschmelzen auf unglaubliche Weise ineinander, wie es sich
bei keinem anderen von Menschen und großen Künstlern gemachten Christusbild ereignet. Der Herr hatte zu Schwester Faustina gesagt, sie solle sich wegen des Bildes nicht bekümmern, er könne auch unvollkommene menschliche Werke für die Verwirklichung Seines Planes benutzen.

Und mit großem Staunen sehe ich die ungeheure Nähe des Wilna-Bildes zum Schleier von Manoppello.“ Einer der apokalyptischen Botschaften, die Schwester Faustyna von dem ihr erscheinenden Jesu empfing, lautet: „Schreibe Folgendes: Noch bevor ich als gerechter Richter kommen werde, komme ich als König der Barmherzigkeit. Bevor der Tag der Gerechtigkeit anbricht, wird
den Menschen folgendes Zeichen am Himmel gegeben werden: Alles Licht am Himmel erlischt und große Finsternis wird auf der ganzen Erde sein. Dann erscheint das Zeichen des Kreuzes am
Himmel und aus den Öffnungen, wo die durchbohrten Hände und Füße des Erlösers waren, werden große Lichter fluten, die eine Zeitlang die Erde beleuchten.

Das wird kurz vor dem Jüngsten Tage geschehen“ (Tagebuch, Heft 1, 83). Kein Christusbild der christlichen Bilderwelt darf aber für sich in Anspruch nehmen, mehr Barmherzigkeit auszudrücken als das Schleierbild in Manoppello. Ist es deshalb auch schon die Verheißung seiner Ankunft als „König der Barmherzigkeit“? So groß die Verbrechen jedenfalls sind, die die Menschen im zwanzigsten, dem blutigsten aller Jahrhunderte begangen haben: Noch größer ist Gottes Barmherzigkeit, der auch dem größten Sünder verzeiht, wenn er Reue zeigt. Johannes Paul II. wollte, dass die Botschaft der barmherzigen Liebe Gottes alle Menschen erreiche.

Benedikt XVI. hat dieses Vermächtnis seines Vorgängers aufgenommen. Und um die Barmherzigkeit Gottes mit eigenen Augen zu sehen, reicht es, sein Antlitz zu suchen, wie er in der Generalaudienz vom 6. September 2006 sagte: „Um es gemäß dem Paradox der Menschwerdung auszudrücken, können wir wohl sagen, dass Gott ein menschliches Antlitz angenommen hat, das Antlitz Jesu, und infolgedessen
brauchen wir von nun an, wenn wir das Antlitz Gottes wirklich erkennen wollen, nichts anderes tun, als das Antlitz Jesu zu betrachten! In seinem Antlitz sehen wir wirklich, wer Gott ist und wie Gott ist!“

Da war er sechs Tage zuvor selber erstmals in Manoppello gewesen.

Guido Horst ist Chefredakteur des Vatican-Magazins - Bestellmöglichkeiten der Zeitschrift unter www.vatican-magazin.com - Achtung: Ermäßigung für kath.net-Clubmitglieder - Infos siehe hier.





Foto: (c) Schwester Blandina Paschalis


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