Aber wer war dieser Jude aus Tarsus in Cilicien?

17. Mai 2008 in Weltkirche


Paulus, Zeuge und Apostel der christlichen Identität - Mit einem Hirtenbrief haben die Bischöfe der Türkei die Gläubigen auf das Paulusjahr eingestimmt


Würzburg (kath.net/Tagespost)
Wir veröffentlichen den Hirtenbrief, den die türkischen Bischöfe aus Anlass des herannahenden Paulusjahres (28. Juni 2008 - 29. Juni 2009) zur Feier des 2000. Geburtstags des Völkerapostels verfasst haben.

Die Hirten erinnern ihre Gläubige daran, dass Paulus „ein Erbe für alle Jünger Christi“ sei, insbesondere aber für die Christen der Türkei, die Kinder jenes Landes, „das seine Geburt gesehen hat, seine unermüdliche Verkündigung Christi und das ihn in so vielen Mühen erlebt hat.

Der angebrachte Stolz bliebe allerdings unfruchtbar, „wenn er nicht in die größere Verpflichtung der Nachfolge umgewandelt wird. Schauen wir auf den Verfolger, der ein Bote des Evangeliums wurde; so werden wir verstehen, dass Gott auch uns umgestalten kann, wenn wir dies wollen. Mit seinem Leben als Christ erinnert uns Paulus daran, dass Gott nichts vollbringen kann, wenn wir nicht mit seiner Gnade mitarbeiten.“

Liebe Brüder und Schwestern,

Gnade und Friede von Gott unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Wir grüßen euch mit demselben Wunsch, den der Apostel Paulus bei der Begrüßung der Christen der Kirche von Rom verwendete.

Wie Sie wissen, kündigte unser Heiliger Vater Benedikt XVI. an, dass die katholische Kirche vom 28. Juni 2008 bis zum 29. Juni 2009 das zweite Jahrtausend seit der Geburt des heiligen Paulus feiern wird.

Das ist ein Ereignis für alle christlichen Gemeinschaften, da Paulus ein Lehrer für alle Jünger Christi ist. Dieser Jahrestag ist aber auch von besonderer Bedeutung für uns, die wir in der Türkei leben. Der Apostel der Heiden ist ein Sohn dieses Landes und hier hat er den Großteil seines Amtes ausgeübt. Hier legte er in weniger als dreißig Jahren die meisten der 10 000 Meilen seiner Reisen zurück. Vor allem aber hat er hier auch Feindschaft, tödliche Gefahr, Gefängnis, Schläge und Entbehrungen aller Art erfahren, um Jesus Christus und sein Evangelium zu verkünden.

Wer war dieser Jude aus Tarsus in Cilicien?

Nachdem er ein Glied der Kirche von Antiochien wurde, brach er aus dieser Gemeinschaft zu seinen Missionsreisen auf, die ihn die Länge und Breite der heutigen Türkei bereisen ließen: Seleucia, Iconium, Lystra, Derbe, Antiochien in Pisidien, Ephesus, Milet, Antalya, Perge, Troas, um nur einige der Orte in der Türkei zu nennen, wohin er als Zeuge Christi ging. Und wir wissen, dass viele andere Orte in unserem Land den Eifer dieses Apostels kennengelernt haben. Wo er nicht persönlich hinreisen konnte, sandte er seine Briefe. Der Brief an die Christen von Galatien, der an die Gemeinde von Ephesus, der an die Kolosser, ebenso wie der Brief an den Christen Philemon von Kolossae berichten uns von einer Aktivität, die nicht nur auf eine mündliche Verkündigung beschränkt war, sondern auch schriftliche Ermahnungen einschloss. Paulus tut alles, was in seiner Macht steht, und wird so selbst alles für alle (1 Kor 9, 22), damit „Christus verkündet wird“ (Phil 1, 18). Aus der Stadt Ephesus, wo der Apostel etwa drei Jahre lang lebte, verfasste er die Briefe an die Galater, an die Philipper und den ersten Brief an die Korinther.

Aber wer war dieser „Jude aus Tarsus in Cilicien“ (Apg 21, 39), an den wir uns heute als großen „Apostel der Heiden“ erinnern? Geboren in Tarsus, vermutlich zwischen den Jahren 7 und 10 A.D., verbrachte er seine Kindheit dort in seiner Heimatstadt. Um seine Weiterbildung fortzuführen, wurde er in Jerusalem in die Schule des Gamaliel entsandt, der ihn „nach dem väterlichen Gesetz“ unterrichtete (Apg 22, 3). Durch seine strenge Befolgung des Gesetzes und der hebräischen Traditionen geriet er rasch in Gegensatz zur ersten Gruppe der Christen, die er zu verfolgen begann (Gal 13–14). Der Evangelist Lukas berichtet uns, dass er zu den eifrigsten Personen gehörte, die nach Christen im Judentum suchten, um sie ins Gefängnis zu werfen (Apg 9, 1–3). Ebenso erfahren wir von Lukas, dass Paulus zu denen gehörte, die der Ermordung des Stephanus zugestimmt hatten (Apg 8, 1). So groß war sein Hass auf diese erste Gemeinschaft der Jünger Jesu! Und dennoch veränderte ein Ereignis in der Nähe von Damaskus in radikaler Weise diesen Feind der Christen zu einem leidenschaftlichen Anhänger Christi und seiner Kirche. Wie Licht brach Christus in das Leben dieses eifernden Fanatikers des Gesetzes und wandelte ihn zum Apostel des Evangeliums.

Die Ehrlichkeit und die völlige Hingabe, mit der Paulus das Gesetz befolgt hatte, auch wenn das zu Verfolgung der Christen geführt hatte, wird nun in Frage gestellt, seit er Christus begegnet war, der ihn erblinden ließ, um ihm so eine neue Vision der Wirklichkeit zu schenken. Der heilige Johannes Chrysostomus schreibt dazu: „Da er nicht gut sehen konnte, machte ihn Gott aus gutem Grund blind.... Es war aber nicht Finsternis, die ihn blind werden ließ. Es war vielmehr die Überfülle des Lichtes, die ihn erblinden lieߓ (Panegyrie IV auf Paulus 2). In Damaskus wurde es Paulus bewusst, dass eine bis ins Kleinste gehende Erfüllung des Gesetzes nicht genug war zum Heil. Ohne Liebe ist das Gesetz wie ein toter Körper, umso mehr, wenn im Namen dieses Gesetzes man dazu übergeht, diejenigen zu verfolgen und zu töten, die es nicht erfüllen.

Diese Begebenheit lässt uns begreifen, dass Heil durch die Begegnung mit Christus geschenkt wird und nicht durch eine bis ins Kleinste gehende Befolgung von Geboten. Vor einer ständig bestehenden legalistischen Tendenz, die Gott zu einem Idol werden lässt und die Beziehung mit ihm zu einem Vertrag formt, ohne das Herz zu berühren, spricht Paulus für uns auch heute immer wieder seine Erfahrung von Damaskus aus: Christus ist der Urheber des Heiles. Er ist „die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 10, 4). Sollte jemand denken, dass er selbst nur mit seiner eigenen menschlichen Kraft die Heiligkeit erreichen könne, ist das ein Trugschluss. Nach Damaskus verläuft das Leben des Paulus völlig verändert weiter. In Damaskus wird er vom Christen Ananias getauft und im christlichen Glauben unterwiesen (Apg 9, 10ff). Er beginnt dann zu predigen, was er gesehen und gehört hat (Apg 22, 15). Deshalb ist es dann die Erfahrung des auferstandenen Christus, die ihn zu einem Zeugen macht, wie sie auch die Apostel zu Zeugen geformt hatte („Kommt und seht“), einschließlich des ungläubigen Thomas „Sieh meine Hände, leg deine Hand in meine Seite....“ (Joh 20, 27). Als er nach Damaskus zurückkehrte, zog er sich die Ablehnung sowohl des Scheichs, der das Gouverneursamt ausübte, als auch der dort wohnenden Juden zu, die über seine Umwandlung vom glühenden Pharisäer zum christlichen Missionar enttäuscht waren. Sein Leben war von da an in ständiger Gefahr. Aus diesem Grund ließen ihn einige seiner Freunde in einem Korb über die Stadtmauern hinab, da die Tore der Stadt bewacht waren (Apg 9, 23–25). Zu diesem Zeitpunkt reiste er nach Jerusalem, um die Apostel zu treffen. Allerdings war nach dem Bericht des Lukas „jeder von ihnen in Furcht, da sie nicht glaubten, dass er ein Jünger sei“ (Apg 9, 26). Es war Barnabas, der ihn den Aposteln und der Gemeinde vorstellte, und der ihnen von der Erfahrung von Damaskus berichtete. Paulus verblieb eine Zeit in Jerusalem, um dort den Herrn zu verkünden. Als aber eine Gruppe von Juden beschloss, ihn zu töten, zwang ihn das zur Flucht nach Tarsus (Apg 9, 30).

Antiochien war Ausgangspunkt der Missionsreisen

Er verblieb etwa vier Jahre in seiner Geburtsstadt, bis ihn dann Barnabas aufsuchte und um Hilfe bei der Verkündigung des Evangeliums in Antiochien bat (Apg 11, 25). Von diesem Zeitpunkt an wird die Gemeinde von Antiochien die Kirche sein, zu der Paulus gehört. Von hier aus bricht er zum ersten Mal mit Barnabas auf eine Missionsreise auf (Apg 13, 2–3) und hierher kehrt er auch zurück (Apg 14, 26–28). Dasselbe geschieht für seine zweite Reise (Apg 15, 36–40.15–33) und er wird auch von hier aus seine dritte Reise beginnen (Apg 18, 23). In Antiochien hatten Paulus und Barnabas die bekehrten Heiden nicht zur Beschneidung verpflichtet, während einige jüdische Christen aus Palästina auf deren Notwendigkeit bestanden. Die dabei entstehende Auseinandersetzung führte zum sogenannten „Apostelkonzil von Jerusalem“ (um das Jahr 49 A.D.).

Paulus und Barnabas erhielten Recht zugesprochen und das Konzil erklärte, dass jene, die sich aus dem Heidentum bekehrten, vom mosaischen Gesetz frei seien (Apg 15,5–29). Mit dieser Entscheidung stellte die erste christliche Gemeinschaft fest, dass das Christentum nicht als vollkommenste Form der jüdischen Religion zu verstehen sei, sondern als eine radikal neue Wirklichkeit. Paulus stimmte dieser Entscheidung mit großer Entschlossenheit zu. Sogar bei der Auseinandersetzung in Antiochien, in der er Petrus widersprochen hatte, verstand Paulus dies als Weg zum Schutz der neuen christlichen Identität vor Kompromiss oder Rückschritt (Gal 2, 11-14).

In der Apostelgeschichte zeichnet der Evangelist Lukas die Reisen auf, in denen Paulus wiederholt unser Land der Türkei bis hin nach Griechenland durchreiste. Es wäre sehr empfehlenswert, wenn jeder von Ihnen diesen Text zur Hand nehmen würde, um die Mühen des Apostels zur Verkündigung des Evangeliums zu betrachten. Wir beschränken uns hier auf einen Blick auf die Gegenwart des Paulus in Antiochien in Pisidien, dem modernen Yalva, und in Ephesus (Selçuk). Paulus erreichte Antiochien in Pisidien von Perge aus um das Jahr 47 (Apg 13, 14–52). In der örtlichen Synagoge behandelte Paulus die herausragenden Zeitpunkte der Heilsgeschichte vom Alten Testament bis zu Johannes dem Täufer. Dann schließlich verkündete er Jesus als Messias und Gottes Sohn.

Diese Geschichte des Heiles ist in der Tat durch die Auferstehung des Herrn besiegelt, in der Paulus die Erfüllung aller messianischen Verheißungen sieht. Das ist also das einzigartige Leitthema, das die Geschichte der Menschheit unterstreicht. Gott hat diese Welt und den Menschen nicht erschaffen, um ihn dann zu verlassen, sondern es entfaltet sich vielmehr ein Plan der Liebe, der seinen vollen Ausdruck in Christus findet. An Christus zu glauben heißt also, an die Liebe Gottes zu glauben, die von Anfang an und für alle besteht. Das ist die Ankündigung, die der Apostel aussprach und die von einigen mit Bereitschaft aufgenommen wird, während andere das so stark ablehnen, dass Paulus aus Antiochien fliehen muss (Apg 13,50–52).

Ein anderer wesentlicher Handlungsort auf den Reisen das Paulus war die Stadt Ephesus. Er blieb dort etwa drei Jahre (ca. 54–57) und bemühte sich dort um ein breites und schwieriges Werk der Verkündigung, das ihn sowohl in Widerspruch mit den Juden als auch mit den örtlichen Heiden brachte. Wenn er die Fülle der Leiden in dieser Zeit erwähnt, erinnert er sich selbst daran, dass er „in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft hatte“ (1 Kor 15,32). Im zweiten Brief an die Korinther (1,89) spricht er über „die Drangsal, die in Asien über uns kam: eine übermäßige, die Widerstandskraft übersteigende Last wurde uns auferlegt, sodass wir sogar mit dem Leben abgeschlossen hatten. Wir vernahmen in unserem Innern das Todesurteil. ... Aus diesem Tod hat er uns aber errettet“. Zuletzt deutet er auch in seinem Brief an die Römer eine Gefangenschaft an, die er wahrscheinlich in Ephesus erduldet hat (Röm 16,3.7).

Ein unermüdlicher Verkündiger Christi

Liebe Brüder und Schwestern, die Notwendigkeit, Jesus Christus zu verkündigen, ergab sich für Paulus aus seiner Liebe zu ihm. Das bedeutet, dass derjenige, der Christus begegnet, ihn einfach verkünden muss, sowohl mit seinem Leben als auch mit seinen Worten. Als ein weiterer Sohn unseres Landes sagt Johannes Chrysostomus vom Apostel: „Aufgrund dieser Liebe wurde Paulus zu dem, der er war. Sprecht mir nicht über die Toten, die er erweckte, oder die Aussätzigen, die er heilte. Gott will nichts von all dem von euch. Ergreift die Liebe des Paulus und ihr werdet die vollkommene Krone besitzen“ (Panegyrie IIII über Paulus 10).

Das Blut, das der Apostel in Rom unter Kaiser Nero um das Jahr 67 A.D. vergoss, war nichts anderes als das natürliche Schlusskapitel eines Lebens, das für Christus und für seine Brüder dargebracht wurde. Kurz zuvor hatte er an die Christen von Philippi geschrieben: „Auch wenn mein Blut als Trankspende ausgegossen wird beim Opfer und Gottesdienst eures Glaubens, so freue ich mich doch und freue mich mit euch allen“ (2,17).

Liebe Brüder und Schwestern der Türkei, Paulus ist ein Erbe für alle Jünger Christi, besonders für uns, die wir Kinder dieses Landes sind, das seine Geburt gesehen hat, seine unermüdliche Verkündigung Christi und das ihn in so vielen Mühen erlebt hat. Und doch wäre unser zutreffender Stolz unfruchtbar, wenn er nicht in die größere Verpflichtung der Nachfolge umgewandelt wird. Schauen wir auf den Verfolger, der ein Bote des Evangeliums wurde; so werden wir verstehen, dass Gott auch uns umgestalten kann, wenn wir dies wollen. Mit seinem Leben als Christ erinnert uns Paulus daran, dass Gott nichts vollbringen kann, wenn wir nicht mit seiner Gnade mitarbeiten. Wie uns Johannes Chrysostomus nochmals erinnert: „Nichts wird uns hindern, so wie Paulus zu leben, wenn wir es tatsächlich wollen. Er erreichte diesen Stand nicht nur durch die Gnade, sondern auch durch seine persönliche Bereitschaft“ (Panegyrie V über Paulus 2–3).

Was ist dann heute die Botschaft, die der Apostel uns Christen in der Türkei gibt?

Wir Bischöfe glauben, dass einige Elemente aus der Fundgrube seiner Briefe besonders wertvoll sein könnten für Gemeinschaften, die in der Situation einer religiösen Minderheit leben. Wir sind völlig umgeben von einer muslimischen Welt, in der der Glaube an Gott noch sehr gegenwärtig ist, sowohl in den traditionellen Ansichten als auch in den Ansichten neuer islamischer, religiöser Organisationen. Genau diese Situation, die in einigen Aspekten der Lebensform der ersten Gemeinschaften, die in der Diaspora lebten, gleicht, fordert von uns ein klares Wissen unserer eigenen Identität. Paulus erinnert uns an das grundsätzliche Element unserer christlichen Identität. Dieses grundsätzliche Element betrifft nicht den Glauben an Gott, den wir gemeinsam mit unseren muslimischen Brüdern und mit so vielen anderen Menschen haben, sondern den Glauben an Jesus als den „Herrn“ (1 Kor 12,3), den „Gott von den Toten erweckt hat“ (Röm 10,9). Im Brief an die Kolosser schreibt der Apostel auch ausdrücklich, dass „in Christus ... die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“ (2,9). Der Ausdruck ist eindeutig und erinnert uns daran, dass wir Gott nur durch Christus treffen können. Er ist das Tor und die Brücke zwischen dem Vater und uns. Wir lesen im ersten Brief an Timotheus (2,5): „Einer ist Gott und einer ist Mittler zwischen Gott und dem Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle hingegeben hat.“

Paulus verkündete den Skandal des Kreuzes

Paulus hat uns all die Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich für ihn ergaben, als er Christus, den Gott-Menschen, verkündete, der uns durch seine Menschwerdung und seinen Tod am Kreuz erlöst. Das ist auch heute noch ein wahres, enges Tor, von dem das Evangelium spricht. Das enge Tor besteht nicht in der Annahme von Moralvorschriften der Kirche, noch im menschlichen Gewicht ihrer Strukturen. Es ist vielmehr der Skandal des Kreuzes, der auch heute Nichtchristen als „Torheit und Ärgernis“ erscheint. Aber genau das verkündet uns Paulus als wesentliches und unabdingbares Element des christlichen Glaubens, ja sogar als Ausdruck der Kraft Gottes (1 Kor 1,18). Dieser Niederstieg Gottes, der in Christus ihn unter uns gegenwärtig werden lässt, sogar bis zum Sterben am Kreuz, wird verstanden als eine Manifestation jener Liebe, die das Wesen des unsagbaren Gottes ausmacht, dessen Transzendenz nicht nur vom Richtstock des Seins gemessen wird, wie etwa in der Philosophie, sondern in dem der Liebe. Vergessen wir nicht, dass die Allmacht des Seins der Allmacht der Liebe entspricht? Liebe ist nicht eine Eigenschaft Gottes, sondern sein Wesen. Paulus erinnert uns daher daran, dass wir keinerlei „menschliche“ Grenzen dieser Liebe für uns setzen dürfen. Das ist das Paradoxon des christlichen Glaubens, bestätigt durch die Menschwerdung und den Tod Christi. Und dennoch ist der Apostel, der unsere christliche Identität mit seinem Beispiel und seinen Worten bekräftigt, auch ein Mann des Dialogs. Da Paulus es gewohnt war, Menschen verschiedener religiöser Traditionen und ethnischer Gruppen zu treffen, verstand er auch, dass der Geist Christi nicht nur in der Kirche anwesend ist, sondern ihr vorausgeht und auch außerhalb von ihr wirkt. Das bestätigte er in Athen: „Gott erschuf die Welt und alles in ihr .... so dass alle Nationen die Gottheit suchen sollten, ob sie ihn fühlen und finden könnten, ist er doch nicht fern einem jeden von uns“ (Apg 17,26–28).

Auf dieser Ebene sind wir eingeladen, unseren Dialog mit der muslimischen Welt zu vertiefen: Dialog des Lebens, wo wir miteinander leben und unser Leben teilen; Dialog des Handelns, wo Christen und Muslime zusammen arbeiten „im Hinblick auf die integrale Entwicklung und Befreiung der Menschen“; Dialog der religiösen Erfahrung, wo wir miteinander unseren spirituellen Reichtum teilen, zum Beispiel „im Hinblick auf Gebet und Meditation, Glauben und die Wege, nach Gott dem Unendlichen zu suchen“ (Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog, Dialog und Verkündigung, 19. Mai 1991, 42). Letztendlich gibt es auch den Dialog des theologischen Austausches, in dem Spezialisten sich bemühen, das Erbe des jeweils anderen religiösen Glaubens zu verstehen und die gegenseitigen spirituellen Werte hochzuschätzen. Dieser Dialog bedeutet nicht, dass wir unsere eigenen religiösen Überzeugungen zur Seite schieben. Dialog geschieht nur dann wirklich, wenn wir wir selbst bleiben und unsere eigene Glaubensidentität intakt halten und auch nie aus irgendeinem Grund verschweigen, so schwer zu verstehen das für einen sein mag, der nicht Christ ist. So drückt das auch einer der frühen Väter der Christen, Hilarius von Poitiers, aus: „Nur weil die Weisen dieser Welt einige Dinge nicht verstehen und diese vielleicht sogar töricht erscheinen, sind sie das etwa auch für uns? Dann rühmen wir uns allerdings nicht des Kreuzes Christi, weil es ein Skandal für die Welt ist; noch verkündigen wir den Tod des lebendigen Gottes, damit es nicht den Ungläubigen erscheint, dass Gott tot ist“ (Buch über die Synoden 27,85). Paulus blieb dieser Verkündigung getreu, ohne sie zu versüßen und auch ohne mentale Vorbehalte. Im Gegenteil, gerade das, was für die Welt Skandal und Torheit ist, ist für ihn der Beweis der Liebe Gottes für die Menschheit, die noch Platz lässt für ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Je mehr also diese Dinge der Majestät Gottes zu widersprechen scheinen, umso mehr müssen wir uns vor ihm daran gebunden fühlen (Hilarius von Poitiers).

Wenn in diesem Zusammentreffen mit der nichtchristlichen Welt der Apostel unser Lehrer ist, ist er auch Lehrer und Quell der Einheit für die Beziehungen zwischen den verschiedenen christlichen Gemeinschaften. Wie uns Benedikt XVI. bei seinem Aufruf zum Paulusjahr erinnert, „tat der Apostel der Nationen, der sich besonders verpflichtet fühlte, die Frohe Botschaft allen Völkern zu bringen, absolut alles, was in seiner Macht stand, für die Einheit und den Frieden unter allen Christen...“.

Er lädt auch heute uns alle ein, unseren Blick auf Christus zu richten, nicht nur möglichen Widerstand zu überwinden, sondern auch das Desinteresse zu überwinden für jene, die nicht zu „unserer“ Kirche gehören. Der Apostel, der die Schwierigkeit der Verkündigung des Evangeliums, sogar von Seiten seiner Glaubensbrüder, erfuhr, erinnert uns, dass nur eines zählt, nämlich dass Christus „verkündigt wird“ (Phil 1,18). Er erinnert uns aber auch an unsere gemeinsame Verantwortung bezüglich all jener, die nicht Christen sind. Bevor wir Katholiken, Orthodoxe, Syrer, Armenier, Chaldäer, Protestanten sind, sind wir alle Christen. Unsere Pflicht zum Zeugnis geben ist auf dieser Grundlage begründet. Erlauben wir unseren Unterschieden nicht, Scheu voreinander zum Schaden der Einheit des Glaubens aufzubauen. Lassen wir auch nicht zu, dass ein Nichtchrist wegen unserer Spaltungen von Christus ferngehalten wird.

Kann die muslimische Welt das von uns sagen?

Als Tertullian über die Christen sprach, gewann er die Bewunderung einiger Heiden durch diese einfachen Worte: „Seht, wie sie einander lieben“ (Apologia 39). Kann die muslimische Welt um uns herum das von uns heute sagen? Sie werden es tun, wenn wir unser Wissen, dass wir „in einem Geiste auch alle zu einem Leibe getauft worden sind“ (1 Kor 12, 13) in konkrete Taten umsetzen. Die Existenz dieser Grundlage kann auch bei aller Verschiedenheit von lokalen Organisationen und bei allen Unterschiedlichkeiten von theologischen lehrmäßigen Sprachweisen nicht in Frage gestellt werden. Alle christlichen Gemeinschaften stehen von ihrer Grundlage her gemeinsam auf der „Grundmauer der Apostel und Propheten“ und versammeln alle Mitglieder und Gruppen in einem Bauwerk, dessen Eckstein und Schlüssel das Antlitz Christi ist (Eph 2, 20).

Liebe Brüder und Schwestern, was wir hier geschrieben haben, ist wenig, verglichen mit der Fülle der Vorschläge und Räte, die wir aus den Briefen des Paulus aufgreifen können. Geschichtlich gesehen waren seine Briefe immer ein Anstoß wie auch eine Gewissenserforschung, wie man ein Christ sein sollte. Gegen die immer wieder auftretenden Versuche, den christlichen Glauben zu einem religiösen Phänomen zu erklären, das keine Bekehrung fordert, steht uns Paulus immer vor Augen und ermahnt uns, dass „wir nicht als Christen geboren werden, sondern zu Christen werden“.

Lektüre der Briefe als geistliche Vorbereitung

Und daher rufen wir Sie in Vorbereitung auf das Paulusjahr auf, seine Briefe persönlich zu lesen, Ihr Studium in unseren Pfarreien zu vertiefen, und ökumenische Initiativen zu pflegen. Von unserer Seite laden wir Sie ein, als Pilger die paulinischen Gedächtnisstätten zu besuchen, die wir in unserem Land aufweisen dürfen: Tarsus, Antiochien, Ephesus. Die offizielle Eröffnung des Paulusjahres wird in Tarsus am Nachmittag des 21. Juni 2008 stattfinden und am 22. Juni wird eine Eucharistiefeier von Seiner Eminenz Kardinal Walter Kasper geleitet werden, der als Vertreter des Heiligen Vaters kommt. Nach dieser feierlichen Eröffnung wird vom 22.–24. Juni ein Symposion über den Apostel in Tarsus/Iskenderum stattfinden. Als katholische Kirche der Türkei werden wir eine nationale Pilgerfahrt nach Tarsus und Antiochien planen. Weitere Initiativen, über die wir gemeinsam mit unseren orthodoxen und protestantischen Brüdern nachdenken, werden Ihnen in den nächsten paar Monaten vorgestellt werden.

Liebe Brüder und Schwestern, stärken wir uns in der Gewissheit, dass wir mit einem Nähergehen auf Paulus auch näher zu Christus kommen. Möge der Glaube des Apostels an den Auferstandenen Christus, seine Hoffnung gegen alle menschliche Hoffnung, seine Liebe, in der er allen alles wurde, für uns ein Maßstab sein für unser Christsein in diesem geliebten Land der Türkei. Möge der Herr euch segnen.

Am Fest der Bekehrung Pauli,

Mons. Luigi Padovese
Apostolischer Vikar von Anatolien, Vorsitzender der Türkischen Bischofskonferenz

Mons. Georg Khazoum
Weihbischof der Armenischen Katholiken der Türkei, Vizevorsitzender der Konferenz

Mons. Hovhannes Tcholakian
Erzbischof der armenischen Katholiken der Türkei

Mons. Ruggero Franceschini
Erzbischof und Metropolit von Izmir

Mons. Louis Pelâtre
Apostolischer Vikar von Istanbul und Ankara

Corepiskopos Mons. Yusuf SA
Patriarchalischer Vikar der Syro-Katholiken der Türkei

Mons. François Yakan
Patriarchalischer Vikar der Chaldäer der Türkei

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