Ein Prophet der Hoffnung

30. November 2007 in Aktuelles


Was Kardinal François-Xavier Nguyên Van Thuân mit der neuen Papst-Enzyklika zu tun hat. Von WELT-Korrespondent Paul Badde, erschienen im neuen VATICAN-Magazin.


Rom (www.kath.net / welt / vatican) Das römische Lieblingslokal des vietnamesischen Kardinals war ein billiger Chinese bei Santa Maria in Trastevere. Jedem Besucher kam François-Xavier Nguyên Van Thuân mit ausgebreiteten Armen entgegen.

Er war ein Freund des letzten Papstes und als er 2002 starb, ehrte Johannes Paul II ihn mit Tränen und einem Requiem in Sankt Peter. „Im ersten Jahr des dritten Jahrtausends soll ein Vietnamese die Exerzitien für die Römische Kurie halten“, hatte er ihm im Dezember 1999 gesagt.

Van Thuân „fiel aus allen Wolken“, wie er sagte, doch antwortete gleich: „Soll ich vielleicht über die Hoffnung sprechen?“ - nach 13 Jahren in kommunistischer Haft. „Ja“, antwortete der greise Papst: „Erzählen sie, erzählen sie ihre persönliche Geschichte“.

Einer der Zuhörer dieser Lebensgeschichte hieß Joseph Ratzinger, der am 17. September in Castelgandolfo von ihm sagte: „Auch ich bewahre nicht wenige persönliche Erinnerungen an die Begegnungen mit ihm in meinem Gedächtnis.

Bischof Franz Xaver – so stellte er sich gerne vor – wurde im Herbst 2002 in das Haus des Vaters gerufen, nach einer langen leidvollen Krankheit, die er in vollkommener Hingabe an den Willen Gottes auf sich nahm. Wir erinnern uns mit Bewunderung an die großen, hoffnungsvollen Visionen, die ihn beseelten und so einfach und überzeugend darzustellen wusste.

Kardinal Van Thuân war ein Mann der Hoffnung, er lebte von der Hoffnung und verbreitete sie unter allen, denen er begegnete. Die Hoffnung stützte ihn als Bischof, der 13 Jahre von seiner Diözesangemeinschaft isoliert war; die Hoffnung half ihm, in der Absurdität dessen, was ihm zustieß – es kam während seiner langen Gefangenschaft zu keiner einzigen Verhandlung –, ein Zeichen der göttlichen Vorsehung zu erahnen.

Die Nachricht von seiner Krankheit, der Tumor, an dem er später starb, erreichte ihn fast gleichzeitig mit der Nachricht seiner Ernennung zum Kardinal.“ – Natürlich ist für den Papst die Hoffnung kein Prinzip wie für Ernst Bloch. Für ihn ist sie ganz und gar in einem lebendigen Menschen verkörpert: zunächst in Jesus von Nazareth.

Bei seiner zweiten Enzyklika - über die Hoffnung! - kann es aber nicht anders sein, als dass ihm als lebendiges Beispiel dabei auch der leise François-Xavier Nguyên Van Thuân vor Augen stand, den er einen „einzigartigen Propheten der christlichen Hoffnung“ nennt.

Dessen Ausführungen aus dem Jahr 2000 (Nguyen, Van-Thuan „Hoffnung, die uns trägt - die Exerzitien des Papstes“, bei Herder 2001) hatte Joseph Ratzingers Haushälterin Ingrid Stampa seinerzeit übersetzt, aus denen wir hier einen komprimierten Auszug abdrucken, als Einführung in die Tage des Advent, von einem Heiligen der Hoffnung.

Asiaten argumentieren nicht mit Begriffen, sondern sie erzählen eine Geschichte, ein Gleichnis, und die Schlussfolgerung liegt dann auf der Hand. So sprachen Konfuzius, Buddha, Gandhi. Ich stehe hier heute vor euch als ein armer ehemaliger Gefangener, der über 13 Jahre im Kerker verbracht hat, davon neun in Isolationshaft.

Am 15. August 1975 wurde ich in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, aufgefordert, mich zum Präsidiums-Gebäude, dem »Palast der Unabhängigkeit«, zu begeben. Dort wurde ich festgenommen. Es war um 14 Uhr. Von dieser Stunde an war es verboten, mich »Herr Bischof« oder »Pater« zu nennen. Jetzt war ich der Herr Van Thuan. Ohne Vorwarnung wurde von mir – auch von Seiten Gottes – eine Rückkehr zum Wesentlichen verlangt.

Während neun Jahren Isolationshaft, in einer Zelle ohne Fenster, manchmal tagelang mit eingeschaltetem Licht, manchmal in der Finsternis, hatte ich das Gefühl, in der feuchten Hitze zu ersticken, und war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Ich konnte nicht schlafen. Ich hatte keinen Zeitplan mehr.

Ein vietnamesisches Sprichwort sagt: »Ein Tag im Gefängnis zählt so viel wie tausend Herbste in Freiheit.« Ich habe das erlebt: Im Gefängnis warten alle auf die Befreiung, jeden Tag, jede Minute. Anfangs wechselten die Wächter kaum ein Wort mit mir. Sie antworteten nur mit »ja« oder »nein«.

Es war wirklich traurig. Ich wollte höflich mit ihnen sein, aber es war unmöglich. Sie vermieden es, mit mir zu sprechen. Da habe ich habe angefangen, Geschichten von zu erzählen, davon, wie die Völker in Amerika, in Kanada, in Japan, auf den Philippinen leben. über die Wirtschaft, die Freiheit, die Technologie.

Das hat ihre Neugier erregt und sie dazu gebracht, mir Fragen zu stellen. Nach und nach sind wir Freunde geworden. Sie wollten fremde Sprachen lernen: Französisch, Englisch. Meine Wärter wurden meine Schüler!

Eines Tages fragte mich einer von ihnen: »Lieben Sie uns?« – »Ja, ich liebe euch.« – »Aber wir haben Sie so viele Jahre im Gefängnis gehalten, ohne Prozess, ohne Verurteilung, und Sie lieben uns? Das kann doch nicht wahr sein!« – »Ich bin viele Jahre bei Ihnen gewesen, stimmt, das ist wahr.« –

»Wenn Sie in Freiheit sein werden, schicken Sie dann nicht Ihre Anhänger, um unsere Häuser niederzubrennen und unsere Angehörigen umzubringen?« – »Nein, auch wenn ihr mich umbringen wollt, liebe ich euch.« – »Aber warum?« – »Jesus hat mich gelehrt, alle zu lieben, auch die Feinde. Tue ich es nicht, bin ich nicht mehr würdig, Christ genannt zu werden.« – »Das ist wirklich schön, aber schwer zu verstehen.« -

Andere fragten: »Existiert Gott wirklich? Und Jesus? Ist das ein Aberglaube? Ist das eine Erfindung der Klasse der Unterdrücker?« Nun, da muss man Erklärungen geben. Als ich in Isolationshaft steckte, beaufsichtigten mich fünf Wächter. Sie wechselten sich ab, zwei waren immer bei mir.

Ihre Vorgesetzten hatten zu ihnen gesagt: »Alle zwei Wochen tauschen wir die jeweilige Gruppe gegen eine andere aus, damit ihr von diesem gefährlichen Bischof nicht ›verdorben‹ werdet.« Später haben sie entschieden: »Wir tauschen euch nicht mehr aus, sonst verdirbt dieser Bischof alle Polizisten.«

Das Gefängnis, in dem ich mich während der ersten Monate befand, liegt in der Stadt Nhatrang, wo ich acht Jahre lang Bischof war. Von meiner Zelle aus hörte ich die Glocken meiner Kathedrale und den ganzen Tag hindurch das Geläut der vielen Pfarreien. Lieber wäre ich im Gebirge gewesen, um nichts zu hören.

Während der Nacht hörte ich im Schweigen der Stadt das Rauschen der Wellen des Pazifischen Ozeans, den ich einst vom Fenster meines Büros aus hatte sehen können. Niemand wusste, wo ich war, obwohl das Gefängnis nur wenige Kilometer von meinem Haus entfernt lag. Am Abend des 1. Dezember 1976 wurde ich plötzlich mit anderen Gefangenen aus dem Kerker von Thu-Duc herausgerufen.

Zu zweit aneinandergekettet, verluden sie uns auf Lastwagen. Eine kurze Fahrt brachte uns nach Tan-Cang, dem neuen, wenige Jahre zuvor von den Amerikanern erbauten Militärhafen. Vor uns sahen wir ein Schiff, das verdunkelt war, damit das Volk nicht merkte, was geschah.

Im Dunkeln ließen sie uns auf der Erde sitzen. Drei Kilometer weiter sah ich die Lichter der Stadt Saigon, des Zentrums der Diözese. Ich wusste, dass eine Reise vor mir lag, die mich weit weg bringen würde. Wir wurden nach Norden eingeschifft – 1700 Kilometer weit weg.

Zusammen mit den anderen Gefangenen brachten sie mich in den Laderaum des Schiffes, wo man sonst die Kohle bunkert. Es gab nur eine kleine Petroleum-Lampe, ansonsten herrschte völlige Dunkelheit. Wir waren insgesamt 1500 Personen, unter unbeschreiblichen Bedingungen.

Am nächsten Tag, als ein wenig Sonne in den Laderaum drang, bemerke ich um mich herum die verzweifelten Gesichter der anderen. Als die Gefangenen während der Fahrt erfuhren, dass Bischof Van Thuan unter ihnen war, kamen sie näher, um mir von ihrer Angst zu erzählen. Stunden vergingen, und den ganzen Tag hindurch war ich damit beschäftigt, an ihren Leiden Anteil zu nehmen und sie zu trösten.

Dreimal war ich während der Reise an einen Parlamentarier gekettet, der als buddhistischer Fundamentalist bekannt war. Die Nähe berührte sein Herz. Immer versuchte er, es so einzurichten, dass er mit mir zusammengekettet wurde; wir sind Freunde geworden.

Im Dunkel des Glaubens änderte das Licht der Hoffnung meine Sichtweise. In der Demütigung war dieses Schiff, dieses schwimmende Gefängnis, meine schönste Kathedrale geworden.


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