Retro ad Latinam linguam

16. Oktober 2006 in Aktuelles


Zurück zum Latein: Der Papst will den Gebrauch der historischen Liturgie wieder zulassen. Das wäre ein Schritt aus dem liturgischen Dilemma. Von Paul Badde.


Rom (www.kath.net / welt) „Introibo ad altare Dei, ad Deum qui laetificat iuventutem meam – ich will hintreten zum Altare Gottes, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“ Als Benedikt XVI. getauft wurde, als er Messdiener war, als er zum Priester geweiht wurde, begann jede katholische Messe mit diesem vierten Vers des 43. Psalms auf Latein.

Es war die Eingangsformel des tridentinischen Mess-Ritus; es war der Beginn der katholischen Opferfeiern, wie sie sich seit den Tagen der christlichen Urgemeinde auf dem Zionsberg in Jerusalem in vielen Jahrhunderten entwickelt hatten.

Pius V. hatte den Ritus auf dem Konzil von Trient in den Jahren 1545 und 1563 endlich „irrtumsfrei“ und verbindlich festlegen lassen. Vierhundert Jahre blieb diese Liturgie danach nahezu unverändert in der katholischen Kirche erhalten. Dem heutigen Papst ist er von Kindesbeinen an in Fleisch und Blut übergegangen.

Wäre sie heute noch gültig, hätten Kirchendiener ihn nach seiner Wahl im letzten Jahr womöglich auf einer Tragesänfte zu seiner Krönung in den Petersdom getragen, hinter einem Erzdiakon her, der die Prozession an drei bestimmten Stellen angehalten und sich umgedreht hätte, um auf einer goldenen Schale ein Büschel Werg mit den mahnenden Worten zu verbrennen: „Sancte Pater, sic transit gloria mundi! (Heiliger Vater, so vergeht der Glanz der Welt!)“.

Doch so war es nicht mehr, wie jeder letztes Jahr am Fernsehen sehen konnte. Auch das „Introibo“ am Anfang jeder katholischen Messe wird seit über 40 Jahren nicht mehr gebetet, als eine von zahllosen Neuerungen, mit denen katholische Messfeiern seit dem II. Vatikanischen Konzil gefeiert werden.

Denn der tridentinische Ritus wurde 1962 mit dem obligatorischen Latein unter Paul VI. abgeschafft und durch einen „novus ordo missae“ ersetzt, wie konservative Kritiker die reformierte „Heilige Messe im Römischen Ritus“ nennen, wie der Nachfolgeritus offiziell heißt.

Tatsächlich ist es eine radikal veränderte Form in den jeweiligen Landessprachen, die dem universal gültigen Messopfer in Latein folgte. An die Einführung und Umsetzung der Liturgiereform wurden damals unglaubliche Hoffnungen gesetzt.

Es war eine Revolution, der am Anfang nur wenige Widerstand entgegensetzten. Es war deshalb auch ein Konflikt, der schon in den 70er Jahren zum Bruch mit dem französischen Bischof Marcel Lefebvre geführt hat, der um alles in der Welt nicht von dem alten Ritus lassen wollte.

Überlebt hat diese Feier danach fast nur in einer Art katholischen Untergrunds – und in wenigen Enklaven innerhalb der Kirche, für die vom Ortsbischof Ausnahmegenehmigungen eingeholt werden mussten, die längst nicht immer erteilt wurden.

Auch andere Ungereimtheiten dieser Praxis haben in den letzten Jahrzehnten den Zorn und Scharfsinn einiger katholischer Intellektueller erregt, unter denen in Deutschland der Philosoph Robert Spaemann und der Schriftsteller Martin Mosebach führende Rollen spielten.

Doch auch bei anderen wollten die Zweifel nie recht verstummen, ob die Reform nicht tatsächlich zu rasch, zu radikal, und teilweise zu willkürlich vonstatten gegangen war – und ob sie nicht wesentlich an der Aushöhlung der Liturgie in den letzten Jahrzehnten überhaupt verantwortlich sein könnte: an jener Entheiligung, Entgöttlichung und Banalisierung katholischer Messfeiern, die nicht nur Konservative an vielen Orten beobachteten und beklagten.

Zu diesen Skeptikern gehörte seit vielen Jahren auch Kardinal Ratzinger, von dem immer wieder zu hören war, dass Gewachsenes schlechterdings nicht einfach durch „Gemachtes“ ersetzt werden könne und dass es deshalb womöglich einer „Reform der Reform“ bedürfe. Zur Jahrtausendwende hat er ein kritisches Buch ganz dem gefährdeten „Geist der Liturgie“ gewidmet.

Dennoch bleibt eine „Reform der Reform“ leichter formuliert als zuwege gebracht. Die Reformer von 1962 wollten sich von der edlen lateinischen Regel des heiligen Benedikt leiten lassen: „succisa verescit“: „zurück geschnitten, blüht es wieder“. Die alte Liturgie war aber wohl doch kein verwilderter Weinberg.

Das Ergebnis beförderte jedenfalls nicht nur eine neue Blüte und bessere Früchte, sondern auch ungeahnt neuen Wildwuchs. Vielleicht war die neue Liturgie in mancher Hinsicht wirklich „gemacht“.

Seit über 40 Jahren ist sie aber auch selbst „gewachsen“ und mächtig gewuchert, bis hin zu Karnevalsmessen mit Pappnasen, die die Väter der Reform gewiss entsetzen würden, nur viele Katholiken nicht mehr, die damit nun schon so lange leben müssen – wenn sie über den Klamauk nicht der Kirche überhaupt den Rücken gedreht haben.

Nach den strengen Vorgaben der Tridentinischen Messe hatte die Liturgiereform dem subjektiven Ermessenspielraum der Feiernden einen ungleich größeren Raum geboten – und Messen damit quasi abhängig gemacht von den Begabungen der Priester oder eben seiner Unbegabtheit.

Nun deutet sich eine einschneidende Wende an. Nach zuverlässigen Informationen aus dem Vatikan wird Benedikt XVI. schon bald ein Dokument unterzeichnen, das den Gebrauch der lateinischen Liturgie wieder ohne jede Beschränkung und weltweit zulassen will.

Nach diesem Dekret wird es auch fortan nur einen einzigen Ritus in der römisch-katholischen Kirche geben – ab jetzt jedoch mit zwei gleichberechtigten Formen: dem gewöhnlichen Ritus in der Landessprache und dem außergewöhnlichen und universalen Ritus in Latein.

Damit gewährt der Pontifex dem alten Ritus wieder „volles Bürgerrecht“ in der Kirche Roms. Es ist nicht weniger als der Beginn einer Kulturrevolution. Dennoch ist dies kein Schnitt, sondern ein Schritt aus dem liturgischen Dilemma. Allen neuen Formen stellt der Papst die alte Messe nun wieder als Urmeter der Liturgie zur Seite.


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