Ausstieg aus dem System?

13. Februar 2006 in Schweiz


Pfarrer Martin Grichting über das Schweizer Staatskirchentum und kirchliche Zerreißproben an den Beispielen Röschenz und Domat/Ems.


Surcuolm (www.kath.net, sb)
Das schweizerische Staatskirchensystem ist nach Ansicht von Vizeoffizial Martin Grichting ein Einfallstor für den Wertewandel in die Kirche. An den Beispielen von Domat/Ems und Röschenz könne man dies erkennen. Die Kirche in der Schweiz müsse von diesem System abrücken, meinte der Pfarrer in einem Interview mit der Zeitung „Südostschweiz“.

„Betrachten Sie doch den Fall mit Pfarradministrator Franz Sabo, der mit dem Segen der Kirchgemeinde weiter amtet, obwohl ihn der Bischof suspendiert hat. Das ist schon ein krasser Fall“, sagte Grichting zu dem Konflikt in Röschenz.

Das große Problem daran sei, dass durch die demokratischen Strukturen der staatskirchenrechtlichen Organe der Wertewandel in der Gesellschaft zu sehr in die Kirche hineingetragen werde. „Die Gesellschaft entwickelt sich in eine Richtung, die dem katholischem Glauben und wesentlichen moralischen Grundsätzen der Kirche in vielen Fällen widerspricht“, führte Grichting aus.

Die katholische Kirche in der Schweiz könne den Wertewandel aber nicht „autonom nachvollziehen“, denn sie sei Teil der Weltkirche. Landeskirchen und Kirchgemeinden hätten aber „die finanzielle Macht, an Bischof und Pfarrer Forderungen zu stellen, die diese nicht erfüllen können“, merkte der Priester an. Genau das sei der Grundkonflikt in der Schweiz.

In Röschenz werde sich bald entscheiden, ob die Landeskirche Maßnahmen gegen die Kirchgemeinde ergreife. Wenn nicht, müsse sich Bischof Kurt Koch wohl schon überlegen, ob er den staatskirchenrechtlichen Organisationen nicht besser den Rücken zu kehre und aus dem System aussteige, sagte Grichting zur Zukunft in der Baselbieter Pfarrei. Nur so könne Koch die Einheit mit der Weltkirche wahren.

In Domat/Ems hingegen müsse der Bischof nun prüfen, „ob er Gründe sieht, die Demission von Pfarrer Matthias Rey anzunehmen“. Die Konsultativabstimmung der Kirchgemeinde sei für den Bischof wegen eines Zusatzvertrages im Kanton Graubünden nicht bindend.

Die „Abwahl“ von Rey durch die Kirchgemeinde sei juristisch nicht korrekt gewesen, denn sie sei falsch traktandiert und formuliert gewesen, jedenfalls dann, wenn man sie als Abwahl nach der Bündner Kantonsverfassung verstehen wolle, die eine Abwahl durch die Kirchgemeinde ohne Beteiligung des Bischofs ermögliche.

In Graubünden sei es aufgrund des Zusatzvertrags zur Kantonsverfassung nicht einfach ausschlaggebend, ob eine Mehrheit gegen einen Pfarrer sei. Es komme schon darauf an, weshalb er in der Kritik stehe. Wenn der Pfarrer beispielsweise gestohlen habe, müsse er gehen.

Stehe er aber in der Kritik, weil er eine kirchliche Lehre vertrete, müsse der Bischof an ihm festhalten, auch wenn eine Mehrheit gegen den Pfarrer sei. Alles andere wäre populistisch. Das letzte Wort habe somit der Bischof. Insofern sei die Lage in der Graubünden für die katholische Kirche noch günstiger als in anderen Teilen der Schweiz, meinte Grichting.

Dr. iur. can., dipl. theol. Martin Grichting ist Vizeoffizial in Chur, stellvertretender bischöflicher Beauftragter für Stiftungen im Bistum Chur, Pfarrer in Surcuolm und Webmaster des Bistums.


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