Annus mirabilis

28. Dezember 2005 in Weltkirche


"Es macht Spaß, katholisch zu sein und es ist vernünftig, katholisch zu sein" - Ein Jahresrückblick von Stephan Georg Schmidt über das Wunderjahr 2005


Es macht Spaß, katholisch zu sein.

Diese Aussage ist ganz ohne jeden Anflug von Triumphalismus gemeint, sondern als eine schlichte Feststellung zur Zusammenfassung des zu Ende gehenden Jahres. Nun hat zwar der Gründer der christlichen Religion seinen Leuten keinen Spaziergang versprochen, falls sie versuchen sollten, ihm nachzufolgen - im Gegenteil: Er sprach von Kreuz und Verfolgung. Trotzdem halte ich, wie ich noch zu zeigen versuchen will, den ersten Satz dieses Weihnachtsbriefes für vertretbar, und zwar über alle Konfessionsunterschiede hinweg. Egal ob lutheranisch, reformiert, orthodox oder eben katholisch - eigentlich müßten alle, die es mit ihrem Glauben ernst meinen, 2005 als ein annus mirabilis (Wunderjahr) in ihren persönlichen Memoiren verbuchen, statt öffentlich Grübeleien darüber anzustellen, wie man denn nun das "eigene Profil schärfen" könne. Das christliche Profil in unserem Land ist in den zurückliegenden Monaten so geschärft worden, daß man nur staunen kann, und die Christen täten gut daran, wenn sie jetzt nicht anfingen, es an allen Ecken und Kanten gleich wieder abzuschleifen oder neue Grenzen zu ziehen. Es sind aber nun mal vorwiegend katholische Bilder, Ereignisse und Personen, die zu dieser Profilschärfung beigetragen haben. Sie hier im einzelnen aufzulisten, scheint überflüssig, sind sie doch den meisten ohnehin bestens präsent; es soll eher um die Schlüsse gehen, die daraus zu ziehen sind. Einen davon könnte man vielleicht in folgenden Satz fassen:

Es ist vernünftig, katholisch zu sein.

Es mag überraschen, aber das Sterben Johannes Pauls II. stellt in dieser Hinsicht ein Schlüsselereignis dar. Natürlich fanden sich gleich solche, die die Tage bis zum Tod des Papstes für nichts anderes als eine peinliche Zurschaustellung hielten. Das sicherlich nicht zufällige zeitliche Zusammentreffen des Sterbens im Vatikan mit dem Todeskampf der Komapatientin Terri Schiavo in Florida hat jedoch den Unterschied schnell klar gemacht: hier ein Mann, der sich noch im Leiden frei und bewußt in die Hände des Herrn über Leben und Tod geben durfte, dort ein willenloses Menschenkind, das ferne Richter zum Verhungern und Verdursten verurteilten. Wenn Leute von selbstbestimmtem Sterben reden, dann sollte man an das Geschehen vom Frühjahr 2005 erinnern, um zu ermessen, was würdevolles Sterben heißt. Ecce homo...

Mehr noch vielleicht als alle seine Schriften und Reden legten seine letzten Wochen Zeugnis dafür ab, daß Johannes Paul II. felsenfest an das glaubte, was er zeitlebens verkündet hatte. Hier gab es nichts mehr in große Worte zu kleiden, hier lag ein zu Ende gehendes Leben gleichsam unverhüllt und schutzlos vor aller Augen, und die Millionen, die seinetwegen in den Tagen der Sorge und Trauer nach Rom pilgerten, spürten ganz genau: hier war jemand, wie man heute so gerne sagt, authentisch. Sein langes Leiden hatte den Grund freigelegt, auf dem sein Glaube ruhte, und als wolle er der Welt die Tragfähigkeit dieses Fundaments in einer letzten großen, stummen Predigt vor Augen führen, harrte er buchstäblich bis zum letzten Atemzug im Licht der Öffentlichkeit aus.

Fromme Erbauung und erhebende Gefühle allein können einen solchen Glauben wohl kaum herbeiführen; sich auf sie zu verlassen, hieße eher, auf Sand zu bauen wie der Mann im Gleichnis aus dem Evangelium. Ein Glaube, der einen am Ende noch sagen läßt: "Ich bin froh, seid ihr es auch", der kommt nicht aus dem Bauch, ebensowenig wie aus Zwang, Überredung oder bloßer Gewohnheit; so etwas ist Sache des Kopfes, des Willens und des Verstandes, es ist die Quintessenz aus immer neu getroffenen Entscheidungen und bewußt verarbeiteten Erfahrungen oftmals ganz unspektakulärer Art, die einen mit Gottes Gnade zu der Überzeugung gelangen lassen, die der Apostel Petrus gegenüber seinem Herrn Jesus Christus so ausgedrückt hat: "Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes" (Joh 6,69). Das ist ein durchaus rationaler Prozeß - jedenfalls wenn der Satz des hl. Augustinus stimmt, daß "niemand glaubt, es sei denn freiwillig" (Nemo credit nisi volens); denn nach unserem neuzeitlichen Verständnis ist freier Wille ohne Vernunftgebrauch ja gar nicht denkbar. Der persönliche Glaubensakt ist, wie Johannes Paul II. in seiner philosophischen Enzyklika Fides et Ratio über das Verhältnis von Glaube und Vernunft geschrieben hat, "von der Kirche stets als ein grundlegender Entscheidungsvorgang angesehen worden, in den die ganze Person eingebunden ist. Verstand und Wille" seien "bis zum äußersten" gefordert, um dem einzelnen Menschen "den Vollzug eines Aktes zu erlauben, in dem die persönliche Freiheit im Vollsinn gelebt wird." Das heißt also Glauben.

Starker Tobak für solche "aufgeklärten" Zeitgenossen, die den Katholizismus - frei nach einem oft mißbrauchten Satz Immanuel Kants - noch immer für ein Symptom geistiger Unmündigkeit halten und der Unfähigkeit, "sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen". Um so größer das Erstaunen, als ausgerechnet der vermeintlich Hauptverantwortliche für die angebliche Unmündigkeit der katholischen Schäfchen, "Großinquisitor" Joseph Kardinal Ratzinger, zum Nachfolger auf dem Stuhle Petri gekürt wurde. Zähneknirschend mußten selbst Kritiker einsehen, daß die Wahl offenbar ein genialer Schachzug des Heiligen Geistes war: ein Deutscher und ein Intellektueller, der in der ersten Weltliga mitspielt und dem selbst "religiös unmusikalische" Denker wie Jürgen Habermas Respekt zollen. "Aber Respekt ist nicht alles", so Habermas zu Ratzinger: "Die Philosophie hat Gründe, sich gegenüber religiösen Überlieferungen lernbereit zu verhalten."

Damit hat die von Kant ausgegebene Parole der Aufklärung: "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen", einen neuen Klang. Weil viele offenbar auf die medial vorgekauten Meinungen nicht vertrauen und sich ein eigenes Bild machen, gehen die Bücher des neuen Papstes weg wie warme Semmeln, kommen noch mehr Menschen zu den Audienzen nach Rom als unter dem Vorgänger und fangen Leute, von denen man es kaum gedacht hätte, plötzlich an, sich mit katholischer Religion zu beschäftigen. Die Kirche Benedikts XVI. wird als intellektueller Faktor wahrgenommen. Denn wenn sich darin ein gebildeter Mann wie dieser Papst zu Hause fühlt, dann muß da ja doch wohl etwas dran sein.

Aufgrund all dessen, was diese Ereignisse und Personen gezeigt haben, liegt der Schluß nahe, daß es vernünftig ist, katholisch zu sein. Und weil außerdem spätestens seit dem Kölner Weltjugendtag mit seinen fröhlichen Millionen auch das andere "aufgeklärte" Argument von der alten und sterbenden Kirche entkräftet ist, darf man vielleicht sogar hinfügen, daß es Spaß macht. Schön, wenn man dabeisein darf...

Stephan Georg Schmidt

Der Jahresrückblick im KATH.NET-Forum


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