Vatikanschreiben: Kirchenaustritt ist nicht Glaubensabfall?

22. Dezember 2005 in Aktuelles


Ein Schreiben des vatikanischen Rates für die Gesetzestexte an Bischof Gebhart Fürst heizt die Debatte über das deutschsprachige Kirchensteuersystem an - Kirchenrechtler: "Das ganze ist eine wirkliche Bombe."


Vatikan-Münster-Stuttgart (www.kath.net)
Vor wenigen Monaten wurde vom Vatikan ein Schreiben an den Bischof von Rottenburg-Stuttgart geschickt, das brisante Tatsachen in Bezug auf das Kirchensteuersystem beinhaltet, das in den deutschsprachigen Ländern angewandt wird. In einem Schreiben des vatikanischen Rates für die Gesetzestexte an Bischof Gebhard Fürst, das vom Kirchenrechtler Klaus Lüdicke im Münsterischen Kommentar zum CIC veröffentlicht wurde, heißt es, dass ein Katholik, der „beim Staat“ aus der Kirche „ausgetreten“ ist, weiterhin als Katholik gilt und daher formpflichtig in Bezug auf die Ehe ist. Das heißt, dass er vor einem Priester und zwei Zeugen heiraten muss.

Inwieweit mit diesem Vatikanschreiben vom 3. Mai 2005 auch das in den deutschsprachigen Ländern angewandte Kirchensteuersystem tangiert wird, ist unklar. Kirchenrechtler Klaus Lüdicke selbst meint gegenüber KATH.NET, dass dies nichts mit der „Kirchensteuerfrage“ zu tun habe. Es gehe nur darum, ob ein Katholik, der aus der Kirche ausgetreten ist und danach auf dem Standesamt die Ehe mit einer evangelischen Frau schließt, von der katholischen Kirche als gültig verheiratet betrachtet wird oder nicht. In Deutschland muss ein Kirchenaustritt entweder beim Amtsgericht oder beim Standesamt erklärt werden.

Mehrere Kirchenrechtler bezeichnen das Schreiben gegenüber KATH.NET allerdings als sehr brisant. Ein prominenter Kirchenrechts-Experte meinte in einer Stellungnahme: „Das ganze ist eine wirkliche Bombe, tief in den Fundamenten des Kirchensteuersystems. Die Frage ist jetzt: Wird diese Antwort in den Acta Apostolica Sedis veröffentlicht als offizielle authentische Interpretation des CIC? Oder bleibt es ein Schreiben des Päpstlichen Rats an einen einzelnen Bischof, wie es auch schon mal vorkommt beidiesem Rat, ohne weitere Folgen?“

Wenn es offizielle amtliche Doktrin werde, gehe es der Kirchensteuer an den Kragen. Wesentlich an der Sache sei Punkt c (Wortlaut des Textes siehe unten, Anm. d. Red.): Man muss den Abfall von der Kirche vor dem Ordinarius (Bischof/Generalvikar) oder vor dem Pfarrer erklären. Dies sei in Deutschland derzeit nicht der Fall. „Dort muss man das vor dem Amtsgericht oder Standesamt tun. Somit gilt laut diesem Schreiben der ,Austritt’ nicht als Abfall von der Kirche.“

Auch bei einigen Bischöfen aus Deutschland hat das Schreiben, dessen Tragweite derzeit noch nicht abschätzbar ist, wie KATH.NET erfahren konnte, für erhebliche Irritationen gesorgt. Eine offizielle Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz gibt es nicht.

Das Schreiben aus dem Vatikan an das Bistum Rottenburg-Stuttgart im Wortlaut:
(Die Übersetzung aus dem Italienischen von Lüdicke, MK zum CIC, c. 1086 Rn. 3)

Das Verlassen der Kirche oder die Trennung von ihr muß sich, um gültig als actus formalis mit den Wirkungen des c. 1117 CIC betrachtet zu werden, in folgenden Elementen konkretisieren:

a) die innere Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen. DerInhalt des formalen Aktes muß der Bruch jener Bande der Gemeinschaft -Glaube, Sakramente, pastorale Leitung - sein, die dem Gläubigen den Empfang des Lebens der Gnade im Inneren der Kirche möglich machen. Das bedeutet, daß ein solcher Formalakt des Abfalls nicht nur einen juristisch-administrativen Charakter hat (der Austritt aus der Kirche im melderechtlichen Sinne mit den entsprechenden zivilen Wirkungen), sondern sich als wirkliche Trennung von den konstitutiven Elementen der Kirche darstellt: Er setzt daher einen Akt der Apostasie, der Häresie oder des Schismas voraus.

b) Äußere Setzung und Kundmachung dieser Entscheidung. Die formelle oder materielle Häresie, das Schisma und die Apostasie stellen für sich nicht einen formalen Akt des Abfalls von der Kirche dar, wenn sie nicht äußerlich konkretisiert und der zuständigen kirchlichen Autorität in der vorgeschriebenen Weise kundgetan sind. Es muß sichalso um einen gültigen Rechtsakt handeln, der von einer kanonisch fähigen Person und in Übereinstimmung mit der kanonischen Rechtsordnung, die ihn regelt, gesetzt ist (c. 124-126 CIC). Ein solcher Akt muß in persönlicher, bewußter und freier Weise gesetzt worden sein.

c) Direkte Annahme dieser Entscheidung seitens der zuständigen kirchlichen Autorität. Es ist erforderlich, daß der Akt durch den Betroffenen persönlich vor der zuständigen kirchlichen Autorität (eigener Ordinarius oder Pfarrer) kundgetan wird, der allein es zusteht zu beurteilen, ob ein Willensakt gegeben ist, und ihn mit Unterschrift zu bestätigen. Folglich konstituiert nur das Zusammentreffen der beiden Elemente - theologische Bedeutung des inneren Aktes und seine Kundgabe in der so definierten Weise - den actus formalis defectionis ab ecclesia catholica im Sinne des c. 1117 CIC“

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