Bartholomaios I.: Mehr Rechte für Christen in muslimischen Ländern

16. November 2005 in Österreich


Sie brauchen gleiche Rechte wie Muslime in christlichen Ländern, sagte der Patriarch bei einer Islam-Konferenz. Kardinal Schönborn sprach über "missionarische Religionen".


Wien (www.kath.net,pb) Zwei Tage vor der großen Islam-Konferenz in Wien stürmten in einer pakistanischen Stadt 2.000 Muslime eine katholische Schule, mehrere Kirchen und Privathäuser von Christen und setzten sie in Brand. 450 christliche Familien flüchteten, die Polizei griff nicht ein, die Medien schwiegen über den Vorfall.

Pakistan ist kein Einzelfall: Christen in mehrheitlich muslimischen Ländern sind immer wieder Repressionen ausgesetzt und Bürger zweiter Klasse. Religionsfreiheit existiert bestenfalls auf dem Papier. Auf diesen Missstand machte der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. bei der internationalen Konferenz „Islam in einer pluralistischen Welt“ aufmerksam.

Unsichere Lage der Christen

Eine Konferenz wie diese müsse ihre Aufmerksamkeit auch auf die Situation der Christen in muslimischen Ländern und die Lage der Muslime in christlichen Ländern richten, bemerkte das Oberhaupt der Weltorthodoxie laut Mitteilung des Erzbistums Wien. Die Lage der Christen in manchen muslimischen Ländern sei unsicher und müsse „wesentlich verbessert werden, sodass die Christen und andere Minderheiten die gleichen Rechte und Möglichkeiten genießen wie die Muslime in christlichen Ländern“, forderte er.

Die Konflikte zwischen Muslimen und Christen hätten ihre Wurzeln in der Politik und nicht im Glauben, betonte er. Religion sei im Laufe der Geschichte häufig politisch dazu missbraucht worden, Feindschaft zu säen und Menschen zu Intoleranz und Fanatismus anzustacheln.

Keine religiösen Gründe für Konflikt

Nach Ansicht des Patriarchen gibt es „keine religiösen Gründe für einen gewalttätigen Konflikt zwischen Christen und Muslimen“. Daher sei auch die heute weit verbreitete Theorie vom Zusammenprall der Kulturen („clash of civilizations“) insofern falsch, als sie sich auf Religion als Grund für einen solchen Konflikt beruft, hob Bartholomaios I. hervor.

Islam und freie Gesellschaft - kompatibel?

Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, hatte vor kurzem in der Fernsehserie „Vordenker, Nachdenker“ Islamexperten und Muslime gebeten, sie sollten sich damit auseinandersetzen, wie die Verbreitung des Islam „nach den inneren Ansprüchen“ des Gründers aussieht. Die Frage, die manche heute besorgt stellen: „Kann man überhaupt mit solchen Religionen leben in einer freien Gesellschaft? Sind die nicht von innen heraus intolerant? Haben die nicht sozusagen ein kriegerisches Element in sich?“

Hier stelle sich die Frage: „Wie sieht die Verbreitung dieser Religion aus nach den inneren Ansprüchen, die der Gründer auf den Weg mitgegeben hat. Ich wage da nicht für den Islam zu sprechen, das müssen Islamexperten oder gläubige Muslime beantworten. Vom Christentum kann ich mit Sicherheit sagen, dass Jesus nicht eine gewaltsame Verbreitung seiner Religion gewollt hat.“

„Missionarische Religionen“

Über die Frage der Mission im interreligiösen Dialog sprach der Kardinal auf der Islam-Konferenz am Mittwoch. Christentum und Islam seien beides „missionarische Religionen“. Mit ihrem Missionsauftrag müsse so umgegangen werden, „dass wir ihm einerseits nicht untreu werden, andererseits aber seine Kompatibilität mit den Anforderungen einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft erweisen“, betonte der Wiener Erzbischof.

Christen und Muslime müssten einen klärenden Dialog über die Frage zu führen, was Mission heute eigentlich bedeutet: „Was ist im Sinne Jesu, was ist im Sinne des Koran Mission? Wie steht sie zur Gewissens- und Religionsfreiheit? Wie stellt sie sich auf die Herausforderungen einer pluralistischen Welt ein?“

Die Frage des „Proselytismus“

Innerhalb beider Religionen müsse auch die Frage des „Proselytismus“, der „Abwerbung“ von Gläubigen, geklärt werden, unterstrich Kardinal Schönborn. Diese Frage sei ein Dauerthema zwischen orthodoxer und katholischer Kirche; muslimische Verantwortliche in Jakarta hätten ihm aber auch ihre Sorge über den „Proselytismus“ radikaler islamistischer Gruppen in Indonesien geklagt, berichtete der Wiener Erzbischof.

Schließlich sei ein interreligiöser Dialog über die Frage der Mission notwendig, „der unsere gegenseitigen Sorgen offen auf den Tisch legt, der Gefahren der Intoleranz oder der Verletzung der Religionsfreiheit offen benennt und zum Gegenstand gemeinsamer Korrekturbemühungen macht“,

Gemeinsamkeiten der Missionsaufträge

Ebenso müssten Gemeinsamkeiten der Missionsaufträge von Christentum und Islam gesucht und praktiziert werden, sagte der Erzbischof. Gott habe allen durch Offenbarung und Stimme des Gewissens „die heilige Pflicht gegeben, überall für die Gerechtigkeit einzutreten, Not zu lindern, Armut zu bekämpfen, Bildung zu fördern, die Tugend des Zusammenlebens zu stärken und so zu einer humaneren Welt beizutragen“.

In diesem Zusammenhang meinte Schönborn: „Wir werden darüber Rechenschaft geben müssen, ob wir den vielen Menschen, die nicht an Gott glauben können, ein glaubwürdiges Zeugnis gegeben oder ob wir durch unsere Konflikte den Atheismus verstärkt haben.“ Es wäre „müßig“, im Dialog zu verlangen, auf Mission zu verzichten, betonte er. Ein solcher Verzicht wäre die Selbstaufgabe von Christentum und Islam.

“Wird es gelingen, die missionarische Dynamik, die wesentlich zu unseren Religionen gehört, mit den Grundhaltungen des Respekts vor dem Gewissen des anderen, vor der Religionsfreiheit und der Toleranz zu verbinden?“, fragte Schönborn.

Foto: (c) AsiaNews


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