Kirche muss nicht nur vor dem Heute bestehen, sondern vor der Ewigkeit

23. August 2005 in Aktuelles


"Jeder, der nach seinem Gusto in der Kirche etwas verändern möchte, spricht davon, der ‚Geist des Konzils’ gebiete es", sagt der Bruder des Papstes, Professor Georg Ratzinger, in einem Interview.


Köln (www.kath.net) „Wer meint, über den Glauben abstimmen zu können, der verliert sein Geheimnis.“ Das sagte Georg Ratzinger, der Bruder von Papst Benedikt XVI., im Gespräch mit der „Jungen Freiheit“. Wer das Modell der Demokratie auf Glaube und Kirche übertrage, verkenne, „dass das konstituierende Element des Glaubens die Wahrheit Gottes ist“, meinte Ratzinger, päpstlicher Ehrenprälat, Professor und langjähriger Leiter der Regensburger Domspatzen

Das Problem sei heute „zum einen die Dominanz des Rationalen, zum anderen aber die Tendenz, die Modelle, denen wir überall begegnen, auch auf Bereiche zu übertragen, auf die sie gar nicht passen, wie etwa die Kirche“. Die Vorstellungen von Gruppen wie „Kirche von unten“ oder „Wir sind Kirche“ seien „so weit weg von der eigentlichen Kirchenwirklichkeit, dass man von einer Trennung in der religiösen Substanz sprechen muss“ und sie spiegelten eine „Verfehlung der geistigen Struktur unseres Glaubensgebäudes“ wider.

Der Bezug zum Heiligen, das Empfinden für das Überweltliche sei vielen Menschen abhanden gekommen, beklagte Ratzinger. „Die Welt, die uns umgibt, okkupiert uns so sehr, dass das Verständnis für die Welt Gottes bei vielen verloren gegangen ist. Sogar unter den Gläubigen ist das Verständnis für die innere Wahrheit des Glaubens geschwunden. Entscheidende Grundlagen werden heute selbst von praktizierenden Christen nicht mehr verstanden, geschweige denn anerkannt. Das ist Ausdruck einer wirklich tiefen Krise.“

Selbst Kardinäle seien von diesem „Substanzverlust“ erfasst, etwa der Brüsseler Kardinal Godfried Danneels. Seine Äußerungen sind Ratzingers Ansicht nach „nicht mehr mit dem katholischen Bewusstsein vereinbar“. Verteidigende Worte fand er für Kardinal Lehmann. Er sei wohl „ein Mann der leisen Töne“. „Aber dieser keineswegs ehrenrührige Umstand wird mitunter vorschnell als Preisgabe des Glaubens missverstanden. Da tut ihm die Kritik unrecht.“

Zum Zweiten Vatikanischen Konzil sagte Ratzinger: „Das Konzil steht voll auf dem Boden des Glaubens. Es hat ihn im Ganzen eindrucksvoll formuliert. Ich glaube, das Konzil ist eine Chance, die wir bis heute noch nicht recht zu nutzen gewusst haben.“ Die nachkonziliaren Schwierigkeiten lägen vor allem im Bereich der Liturgie, wofür aber wohl nicht die Konzilstexte selbst, sondern die nachkonziliare Liturgiereform verantwortlich sei.

Das Problem sei, „dass die meisten Kritiker, aber auch viele Befürworter, die Texte des Konzils nicht kennen, sondern aufgrund eines konstruierten ‚Konzilsgeistes’ agieren. Jeder, der nach seinem Gusto in der Kirche etwas verändern möchte, spricht davon, der ‚Geist des Konzils’ gebiete es ... Völlig gleichgültig, ob das auch nur im entferntesten etwas mit dem Konzil zu tun hat oder nicht.“

„Ein Konzil ist kein Parlamentsbeschluss. Es ist die Stimme der Kirche, die unter dem Einfluss des Heiligen Geistes spricht. Nötig ist ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Konzil, für seine glaubensauthentische Deutung. Im Mittelpunkt muss wieder das Hineinwachsen in den Geist des Glaubens, sein authentisches Verstehen und das Lernen, ein Leben in seinem Zeichen zu führen, stehen. Modernisierungen sind in ein paar Jahren veraltet. Auf diese Weise gibt die Kirche ihren überzeitlichen Schatz preis und verwandelt sich in eine beliebige Institution. Fortschritt ist nicht Rückschritt, aber Rückkehr: Rückkehr zur Nachfolge Christi.“

Es sei klar, dass man damit manches Missverständnis riskiere und sich so manchen „Feind“ mache, meinte Ratzinger. „Wer wider den Stachel des Zeitgeistes löckt, der muss darauf gefasst sein, dass ihm der Wind voll ins Gesicht weht. Das muss die Kirche aber aushalten und deshalb auch den Mut zu in den Augen der medialen Öffentlichkeit unpopulären Entscheidungen haben. Die Kirche darf nicht vergessen, dass sie nicht allein vor dem Heute, sondern vor der Ewigkeit bestehen muss.“

Heute sei es „leider populär, nur über Äußerlichkeiten statt über Inhalte der Kirche zu sprechen - bevorzugt über solche Dinge, die das Interesse unsere modernen Gesellschaft widerspiegeln“. Dies „enthüllt die wahren Vorlieben und verhüllt das wirklich Wichtige, nämlich die Fragen des Glaubens. Dabei haben doch alle die protestantische Kirche als warnendes Beispiel vor Augen, wo diese ‚Reformen’ viel weiter fortgeschritten sind und dennoch die Situation noch viel zugespitzter ist. Ich weiß nicht, was sich die ‚Drewermänner’ und ‚Küngs’ dabei denken ... Tatsache ist aber, dass keiner die inzwischen offensichtlichen Schwachstellen ihrer Ideen erkennt, denn sie sind nach wie vor die Lieblinge der Medien.“

Hoffnung gebe ihm persönlich die Reaktion auf den Tod Johannes Pauls II. „Es war doch sehr ermutigend, zu sehen, wie beliebt ein Papst doch in Wirklichkeit war, der in so vielem als so unzeitgemäß galt und immer wieder schwersten Angriffen ausgesetzt war. Auch wenn ich keine Antwort auf Ihre Frage habe, so gibt die Anerkennung, die dieser Papst gefunden hat, doch Hoffnung für die Zukunft.“

Foto: (c) Klemens Hrovath


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