Der nebulöse Konzilsgeist

25. Juni 2005 in Weltkirche


In Rom ist man offensichtlich gewillt, mit der Verfälschung dieser bedeutenden Bischofsversammlung aufzuräumen - Ein Kommentar von Guido Horst / Die Tagespost


Über vierzig Jahre haben zwei Generationen von Theologen sowie zahlreiche Historiker, Journalisten und Kirchenleute hartnäckig versucht, ein falsches Bild des Zweiten Vatikanischen Konzils zu zeichnen. Wichtiger Exponent dieser "pressure group" ist der in Bologna arbeitende Konzilshistoriker Giuseppe Alberigo, der bereits seit den sechziger Jahren die These streut, dass bei der Interpretation dieser Kirchenversammlung nicht die Konzilsdokumente im Vordergrund zu stehen hätten, sondern das konziliäre Ereignis als solches.

Das wahre Konzil sei der "Geist des Konzils". Denn man könne das Konzil nicht auf den bloßen Buchstaben seiner Texte reduzieren. Das eigentliche Reformwerk der Konzilsväter gehe weit darüber hinaus. Und so können seit Jahren alle möglichen Leute die unmöglichsten Dinge als Früchte des Konzils ausgeben, die zwar nicht in den Konzilstexten zu finden sind, aber angeblich dem "Geist des Konzils" entsprächen: die Laienpredigt, die Weihe von Diakoninnen, die Abschaffung des Latein, die Leugnung des Opfercharakters der heiligen Messe, Interkommunion, Religionspluralismus, die Mitwirkung der Laien bei der Bischofsfindung und so weiter und so weiter. Da ist es eine gute Nachricht, dass der römische Kurienbischof Agostino Marchetto ein Buch mit dem Titel "Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine Gegenansicht über seine Geschichte" veröffentlicht hat (DT vom 21. Juni), das dem nebulösen Konzilsgeist zu Leibe rücken soll. Und dass man in Rom offensichtlich gewillt ist, mit der Verfälschung dieser bedeutenden Bischofsversammlung aufzuräumen. Immerhin waren bei der Vorstellung des Werks der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz und Papst-Vertraute Kardinal Camillo Ruini dabei sowie der ehemalige italienische Staatspräsident Francesco Cossiga und der Gründer der Gemeinschaft Sant Egidio, der Kirchenhistoriker Andrea Riccardi. Wie sagte Kardinal Ruini bei dieser Gelegenheit? Es seien immerhin drei Jahrhunderte vergangen, bis zwischen 1949 und 1975 die "ausgewogene" und "sorgfältige" Darlegung einer anderen bedeutenden Bischofsversammlung publiziert wurde: die "Geschichte des Konzils von Trient" des deutschen Professors Hubert Jedin. Dann hat man ja noch etwas Zeit. Jetzt aber sollte schon klar sein, dass es natürlich Entwicklungen gibt, aber das Zweite Vatikanum in der Kirchenlehre keinen Bruch zwischen einer "vorkonziliaren" und einer "nachkonziliaren" Zeit vollzogen hat. Diese Unterscheidung taugt nicht für inhaltliche Debatten. Am besten wäre es, man würde sie nie wieder hören. Guido Horst


© 2005 www.kath.net