Interview mit Kardinal Meisner zur 'Einheitsübersetzung'

in Weltkirche


Irritierungen über Rat der Evangelischen Kirche nach Empfehlung für 'Lutherbibel' bei ökumenischen Anlässen


Köln (kath.net/PEK)
Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Juli diesesJahres den 24 Gliedkirchen empfohlen hat, bei ökumenischen Anlässen die „Einheitsübersetzung“ nicht als einzigverbindlichen Text zu betrachten, sondern die „Lutherbibel“ als Grundtext der evangelischen Kirche zu erhalten. Dies warAnlass, den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner zu diesem Vorgang zu befragen.

PEK: Herr Kardinal Meisner, unter welchen Voraussetzung und mit welcher Zielsetzung ist seinerzeit eigentlich die„Einheitsübersetzung“ entstanden?

Kardinal Meisner: Die Einheitsübersetzung des Neuen Testamentes und des Psalteriums wurde seinerzeit als einökumenisches Anliegen erarbeitet. Das ging nicht ohne erhebliche Opfer - wohl von beiden Seiten. Wir habenkatholischerseits manchen Kompromiss schließen müssen, aber damit wir als evangelische und katholische Christen dengleichen Bibeltext lesen können, haben wir diese Opfer gebracht. Am 23. März 1978 schrieb der damalige Vorsitzendedes Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof D. Helmut Claß an Kardinal Höffner als Vorsitzendender Deutschen Bischofskonferenz: „Der Rat begrüßt die nun mehr fertig gestellte ökumenische Übersetzung –Einheitsübersetzung – des neuen Testamentes (...) evangelischerseits ist die Zustimmung zur ökumenischenÜbersetzung – Einheitsübersetzung – des Neuen Testamentes erfolgt. Die Tatsache, dass katholische und evangelischeChristen nunmehr ein Neues Testament besitzen, das Exegeten beider Kirchen in offiziellem Auftrag übersetzt haben,kann nicht hoch genug veranschlagt werden. (...) Zweifellos wird dieser Text nicht nur in Ökumenischen Gottesdienstenverwendet werden, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten, bei denen evangelische Christen allein, mit anderenevangelischen Christen oder gemeinsam mit Katholiken das Neue Testament lesen.“ Diese Aussage spricht für sichselbst.

Wenn evangelische Christen bei ihren eigenen Gottesdiensten und Zusammenkünften weiterhin den Text derLuther-Übersetzung verwendet haben, ist das deren Angelegenheit, und dagegen ist wohl nichts einzuwenden. Wennaber nun der Rat der EKD an seine Gliedkirchen die Empfehlung verschickt hat, dass der Text der Luther-Bibel auch inökumenischen Gottesdiensten verwendet werden soll, sodass evangelische Christen die Luther-Übersetzung undkatholische Christen die Einheitsübersetzung benutzen sollten, ist das Wort des damaligen Vorsitzenden des Rates derEKD Landesbischof D. Helmut Claß ad absurdum geführt worden, zumal aus diesem Schreiben im offiziellen Vorwortbeider Seiten zitiert wurde. Ein erheblicher Rückschritt für die Ökumene: Bereits mühsam erlangte Einheit wird wiederaufgegeben!

PEK: Gibt es inzwischen eine Reaktion der Katholischen Kirche in Deutschland? Haben sich die katholischenVerantwortlichen für die Ökumene zu Wort gemeldet?

Kardinal Meisner: Bisher konnte ich kaum Reaktionen auf diese Empfehlung zur Verwendung der Luther-Bibel inökumenischen Gottesdiensten bei uns Katholiken feststellen. Das erschreckt mich um so mehr, weil man dann wohldavon ausgehen muss, dass die evangelische Kirche für uns Katholiken schon so belanglos geworden ist, dass manauch auf eine solche Aufkündigung einer erprobten Gemeinsamkeit nicht mehr reagiert, sich noch nicht einmal mehrdarüber ärgert. Das ist schmerzlich genug.

PEK: Herr Kardinal, wie deuten Sie diesen bemerkenswerten evangelischen Alleingang in Sachen Ökumene?

Kardinal Meisner: Die Empfehlung der EKD halte ich für äußerst irritierend. Auf der einen Seite fordert dieevangelische Kirche immer drängender von uns die gemeinsame Eucharistiefeier, und dabei vermisse ich nicht seltenden nötigen Respekt vor der Glaubensüberzeugung der katholischen Kirche, nach der eine solche Einheit derzeittheologisch unmöglich ist. Auf der anderen Seite wird zeitgleich der gemeinsame Bibeltext für ökumenische Gottesdiensteaufgekündigt. Aufkündigung der bereits erreichten Einheit und in gleichem Atemzug die Hoffnung aufEucharistiegemeinschaft für den geplanten ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin: Wie man das miteinandervereinbaren will, ist mir schleierhaft, denn beides widerspricht sich diametral. Weiß man, was man katholischen Christendamit antut? Wenn wir schon nicht mehr den gemeinsam erarbeiteten Bibeltext bei ökumenischen Veranstaltungenverwenden dürfen, wird sich sicherlich als Folge davon auch das theologische Sprechen von katholischen undevangelischen Christen voneinander entfremden. Aber darüber hinaus scheint es auch eine Entfremdung auf dermenschlichen Ebene zu geben. Sonst könnte man nicht zugleich die gemeinsame Bibelübersetzung aufkündigen undEucharistiegemeinschaft fordern.

PEK: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kardinal Meisner.

Mit Kardinal Meisner sprach Dr. Manfred Becker-Huberti.


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