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| Was kommen kann, wenn nichts mehr da ist26. Mai 2017 in Kommentar, 4 Lesermeinungen Unterwerfung ist ein beunruhigendes Buch, weil in vielem ein Spiegel der Situation unseres Zustandes. Das Besondere an Houellebecqs Roman ist, dass er zum Propheten ex negativo wird - BeneDicta am Freitag mit Gudrun Trausmuth Wien (kaht.net) Die Unterwerfung spielt im Frankreich des Jahres 2022. 2017, so die Ausgangssituation, wird zunächst in der Stichwahl der Sozialist Hollande ganz knapp als Präsident wiedergewählt und so ein Wahlsieg des Front National verhindert. 2022 liegt der FN mit 32 Prozent der Stimmen in Führung, doch die Bruderschaft der Muslime, eine erst fünf Jahre alte Partei, erreicht im ersten Wahlgang mehr Stimmen als die Sozialisten und die Rechtskonservativen. In einer bürgerkriegsähnlichen Situation bilden nun die Mitte-rechts-Parteien und die Sozialisten eine "erweiterte Republikanische Front" mit der Bruderschaft der Muslime und wählen einen gewissen Mohammed Ben Abbes zum Präsidenten. Obwohl Ben Abbes jovial, gebildet und konziliant wirkt, sind die sich im Roman innerhalb kürzester Zeit ergebenden Veränderungen des alltäglichen Lebens beträchtlich. Frauen verschwinden aus der Arbeitswelt (bei einem Empfang auf der Uni fällt der Hauptperson Francois erst allmählich auf, dass die seltsame Atmosphäre, die er konstatiert, damit zusammenhängt, dass keine einzige Frau anwesend ist), Mode und die Essgewohnheiten ändern sich, der Distributismus als Wirtschaftsmodell (Produktionsmittel in Hand der Arbeiter) wird eingeführt, Kriminalitäts- und Arbeitslosenraten sinken. Die entscheidendste Veränderung: der Bereich Schule und Universität - als über die Geistigkeit künftiger Generationen entscheidend - wird radikal im Sinne des Islam verändert. Da saudische Geldgeber zugleich viel Geld fließen lassen, ergeben sich die meisten Universitätsangehörigen der neuen Macht ohne Widerstand, bereits jahrzehntelang einer totalen inneren Erosion anheimgefallen, durch traumhaft hohe Gehälter und arrangierte Mehrfachehen restlos überzeugt. Das alles präsentiert sich aus der Perspektive des 44-jährigen Ich-Erzählers François, Literaturwissenschafter, Hochschullehrer, einsam, frustriert von wechselnden sexuellen Beziehungen mit seinen Studentinnen hier sind die widerlichen Passagen des Textes angesiedelt - rauchend, trinkend, Fertiggerichtsfetischist. Der Wechsel im Bildungswesen betrifft François als Hochschulprofessor für Literatur an der Sorbonne direkt: um weiter lehren zu können, müsste er zum Islam übertreten. Nachdem er dies ablehnt, wird der 44-Jährige mit einer stattlichen Pension in den Ruhestand geschickt. François ist ein international anerkannter Experte des Werkes von Joris-Karl Huysmans (1848-1907) und der ihn faszinierende neue Uni-Rektor Robert Rediger der nunmehr Islamischen Universität Sorbonne würde François gern als gut bezahltes Aushängeschild an der Universität haben. François verkommt in jeder Hinsicht immer mehr, und das unverhohlene Werben von Robert Rediger, der auch arrangiert, dass François mit einem Huysmans-Buchprojekt in der Bibliothèque der Pléiade beauftragt wird, bleibt nicht ohne Wirkung: François beginnt sich mit dem Gedanken einer Konversion zum Islam anzufreunden, seine endgültige Entscheidung bleibt allerdings offen, der letzte Teil des Romans ist im Konjunktiv gehalten. Genau dies wird einerseits zwar ein Mitgrund für seinen Verkaufserfolg sein, andererseits verhindern, dass viele, die das Buch aus anderen Gründen lesen sollte (vgl. unten) es angewidert aus der Hand legen, was zu bedauern ist, denn Unterwerfung ist von erschütternder Hellsichtigkeit. Houellebecq schreibt eine Dystopie, eine negative Utopie also, und bewegt sich damit auf der Spur George Orwells, der mit 1984 die Vision eines totalen Überwachungsstaates entwickelt hatte - was aus heutiger Perspektive die legitime Frage aufkommen lässt, inwieweit Utopien die Realität gleichsam von der Zukunft her wirkend mitschreiben . In 1984 erliegt der Protagonist Winston, dessen Geschichte in seinem Widerstand gegen das Totalitäre besteht, nach härtesten Zugriffen, Folter und Umerziehung innerlich ein und ergibt sich: Er liebte den Großen Bruder. Houellebecqs François kennt demgegenüber kaum mehr einen inneren Kampf. Dass er zunächst eine Konversion zum Islam ablehnt und damit seine Tätigkeit an der Sorbonne beendet ist, ergibt sich eher. In diesem Protagonisten gibt es keinen Kern, keine Kontur mehr, die zu inhaltsbezogenem Widerstand in der Lage wäre. In diesem Prototyp des hochgebildeten Akademikers paaren sich Hochspezialisierung und absolute Expertise in seinem Fachbereich mit völliger persönlicher Unreife, menschlicher Leere und innerer Haltlosigkeit. Hier vegetiert einer mehr als er lebt: François, der Beziehungsunfähige, der als eines seiner wenigen Ziele, seinen Körper als Quelle der Lust erleben möchte, lebt von Catering und Instantprodukten. Einerseits hochintellektuell, gibt es keine Einheit seiner Persönlichkeit mehr, das Geistige ist weder willens noch in der Lage, den affektiven Bereich zu durchdringen, zu erhellen und zu orientieren. Als François akademische Karriere beendet erscheint, beginnt er zu spüren, wie der sich dem Selbstmord nähert: In materieller Hinsicht konnte ich mich nicht beklagen: Bis zum Lebensende war mir ein gutes Enkommen sicher, doppelt so hoch wie das Durchschnittseinkommen, ohne dass ich dafür überhaupt hätte arbeiten müssen. Trotzdem, das spürte ich genau, näherte ich mich dem Selbstmord, ohne Verzweiflung oder auch nur eine besondere Traurigkeit zu empfinden, sondern einfach nur deshalb, weil die Gesamtsumme der Funktionen, die dem Tod widerstehen, wie Bichat es ausdrückt, langsam kleiner wurde. Wie wenig seine hohe fachliche Bildung mit dem Rest seines Lebens zusammenhängt, zeigt auch ein anderes Detail des Romans: die inhaltliche Auseinandersetzung des Literaturwissenschaftlers François mit dem Islam erfolgt im Wesentlichen mittels eines 128 Seiten umfassenden Büchlein, das Rediger verfasst hatte: Zehn Fragen zum Islam, drei Millionen mal verkauft. Erschütternd: die Dekadenz akademischer Abgehobenheit vermag der bestechenden Einfachheit und Klarheit, die François hier präsentiert wird, nichts entgegenzusetzen. Totale innere Haltlosigkeit und Verkommenheit, beraubt des letzten Sicherheitsnetzes einer erfolgreichen und gesellschaftlich anerkannten Arbeit, erliegt dem Zugriff dessen, was sicher, klar, überzeugt und aus einer Machtposition auf den Menschen zugreift. In seiner abgrundtiefen Tristesse erinnert sich François an die Abtei von Ligugé, wo Joris-Karl Huysmans, das jahrzehntelange Objekt von Francois Forschungsinteresse, welcher zum Christentum gefunden hatte, sein Oblatengelüde abgelegt hatte: Doch der Aufenthalt bleibt folgenlos, die Liturgie und spirituelle Lektüre erwecken keine Resonanz im Inneren des Protagonisten. Vielleicht wäre es anders gelaufen, hätte sich der Mönch, der Francois vor 20 Jahren begrüßt hatte und ihn nun wieder obgleich nicht mehr Gästebruder empfängt, tatsächlich um eine tiefere menschliche Begegnung bemüht. Denn dass echte Beziehung die Sehnsucht François ist, zeigt kurz darauf die Tatsache, wie schnell er dem persönlich so engagierten Rediger verfällt. Die Dimension des christliche Zeugen oder Freundes fehlt auch in der zweiten, im Roman weit vorausliegenden Szene, wo François den Marienwallfahrtsort Rocamadour aufsucht und bei der Statue der Muttergottes Sinngebung sucht, doch auch dies scheitert: Still und unvergänglich verharrte die Jungfrau im Halbdunkel. Sie besaß die Oberhohet, sie besaß die Macht, doch nach und nach spürte ich, wie ich den Kontakt verlor, wie sie sich in den Raum und in die Jahrhunderte zurückzog, während ich, eingezwängt in meine Sitzbank immer kleiner wurde, immer mehr schrumpfte. Wo keine Identität mehr da ist, keine Einheit der Person, die ihr einen inneren Kern und eine Haltung verleiht, kann nicht einmal mehr ein Kampf stattfinden. Das Anziehen einiger Schrauben wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Art mag genügen, um eine hohl gewordene Tradition, in der man persönlich nicht mehr verwurzelt ist, zu verlassen. Es geht dann nur mehr um ein Sich-Arrangieren, darum, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Prophetisch zeigt Houellebecq dies anhand des universitären Milieus: die Sorbonne ist Wachs in den Händen der reichen saudischen Geldgeber. Unterwerfung ist ein beunruhigendes Buch, weil in vielem ein Spiegel der Situation unseres Zustandes. Das Besondere an Houellebecqs Roman ist, dass er zum Propheten ex negativo wird: Unterwerfung schreit hässlich, animalisch und dramatisch die Notwendigkeit der Neuformung unserer persönlichen und gesellschaftlichen Identität (die Frage der Leitkultur hat absolute Relevanz für unsere Zukunft!) hinaus. Positiv gewendet und vom Buch weggehend: eine große Umkehr (conversio) muss geschehen, eine Erinnerung an das, woher wir kommen, eine Besinnung auf das, was wir sind, damit wir trotz allem - das werden können, wozu wir gerufen sind. Jeden Freitag kommentieren auf kath.net in der Reihe BeneDicta Gudrun Trausmuth, Inka Hammond, Isabella von Kageneck, Petra Knapp und Linda Noé wichtige Themen über Gott, die Welt und alles, was die Herzen noch so bewegt. Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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