Login




oder neu registrieren?


Suche

Suchen Sie im kath.net Archiv in über 70000 Artikeln:







Top-15

meist-diskutiert

  1. Roma locuta - causa (non) finita?
  2. Nach Protesten Schluss mit 'Helnwein-Kunst' im Wiener Stephansdom
  3. Good News in den USA: Tausende kommen zu eucharistischer Anbetung
  4. Armin Laschet (CDU) zur Coronapolitik: „Wir hätten unterschiedliche Meinungen anders anhören müssen“
  5. Werden Sie Schutzengerl für kath.net für mindestens 2024 und 2025!
  6. Lebensschutzorganisation gibt Wahlempfehlung für Donald Trump
  7. Staunen in Frankreich: Die Zahl jugendlicher Taufbewerber steigt massiv an
  8. Als Johannes Paul II. und die Gottesmutter von Fatima den Kommunismus besiegten
  9. Die protestantische Missbrauchsstudie entlarvt die Strukturthesen des Synodalen Wegs als unhaltbar
  10. Serie ‚Pauline’ erzählt Romanze zwischen einer 18-jährigen und dem Teufel
  11. Zweifel an Spekulationen um Predigt-Auslassung des Papstes
  12. Neuer Nuntius in Italien sieht Religionsfreiheit im Westen bedroht
  13. Der Synodale Weg liegt an der Leine
  14. 14 Jahre nach Geständnis: Belgischer Skandalbischof Vangheluwe jetzt endlich laisiert
  15. Jüdischer Podcaster: Liturgiereform war ‚vielleicht ein großer Fehler’

Geschichte und Geschichten

30. September 2016 in Aktuelles, 1 Lesermeinung
Druckansicht | Artikel versenden | Tippfehler melden


Das ‚Mittelalter’: Mystifikation, Wirklichkeit und die Aufgabe des Dienstes an der Wahrheit. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Man meint, etwas zu wissen. Dieses Wissen steht im Raum, oder besser: es hat sich einen Raum verschafft, innerhalb dessen es nicht angezweifelt werden kann, als „Volksgut Wissen“ anerkannt und als solches von Mensch zu Mensch, von Generation zu Generation tradiert wird. An und für sich wäre es Aufgabe der Wissenschaften, dieses Wissen zu bereinigen und es in eine objektive Dimension umzusetzen, deren objektiver Wahrheitsgehalt Teil der wissenschaftlichen Kommunikation ist und als solcher der Kritik anheim gestellt wird. Aber so ist es nicht (immer). All zu oft arbeiten Wissenschaften für sich, während das tradierte Wissen heiter weiter besteht, ohne sich um seine Begründung zu kümmern.

„Man“ ruht in dem, was „man“ weiß, was „man“ demzufolge tut. Ein Beispiel: „Man“ weiß, dass das Mittelalter „finster“ ist: eine Zeit, in der die Vernunft auf dem Altar des Glaubens geopfert worden war, in der Freiheit und Würde des Menschen beschnitten, ja gar mit den Füßen getreten wurden, eine Zeit, in der institutionalisiertes Verbrechen wie die „Hexenjagd“ Angst und Schrecken verbreitete, eine Zeit der Mythen, des von oben dirigierten Volksglaubens und der Volksverdummung. All dies und vieles mehr „weiߓ man. Diesem Wissen folgt, dass die damals wichtigste und sowohl im geistlichen und daher auch im weltlichen Sinne mächtigste Institution, die Kirche, ein System darstellte, innerhalb dessen und durch das eine Entwicklung der Individuen und Gesellschaften „ad maiorem Dei gloriam“ unterdrückt wurde.

Begriffe schwirren durch den Äther: Inquisition, Kreuzzüge, Hexenjagd – sie gestalten eine Wirklichkeit des Gewussten, das trotz der Wissenschaft, in diesem Falle der Geschichtswissenschaft, im Vorurteil der Slogans und Parolen stecken bleibt. Ein Beispiel genüge. „Man“ weiß, dass das Mittelalter voll irrationalen Hexenglaubens war, man weiß auch, dass die Kirche sich an deren Verfolgung schuldig gemacht hat. Man sollte jedoch wissen, dass das Christentum dem Glauben an Wahrsagerei und Hexerei stets verurteilt hat. So befasste sich erstmals der „Canon Episcopi“ aus dem Jahr 906 als kirchenrechtliche Vorschrift mit dem Problem. Es bestand darin, dass vom Glauben abgefallene und so dem Satan ergebene Menschen „Vorspiegelungen und Hirngespinsten böser Geister“ erliegen, die sie zur Verkündigung der Lüge treiben. Also: Hexen und Zauberer gibt es nicht, es gibt aber Menschen, die meinen, solche zu sein, und so das Böse hervorbringen. Dem Mittelalter ist „Hexenglaube“ fremd, erst die Frühneuzeit bringt das, was das allgemeine Wissen weiß: sechzehn Jahre vor dem offiziellen Beginn der Moderne wird der deutsche Dominikaner Heinrich Kramer 1486 den „Hexenhammer“ veröffentlichen, mit dem eine neue Phase der Geschichte beginnt, deren Wirklichkeit und Abartigkeit einer eigenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung bedarf.


Es gilt einen weiteren Aspekt des wissenschaftlichen Blickes auf die Vergangenheit zu beachten. Auch die kritikwürdigsten Phänomene wie die Inquisition können nur dann einem tiefer gehenden Verständnis zugeführt werden, wenn sie innerhalb ihrer Zeit analysiert und keine aus dem Kontext des Heute genommenen Maßstäbe angelegt werden. So wie die aristotelische Metaphysik nicht im Ausgang von einer Philosophie der Moderne in ihrem Wesen erfasst werden kann, so dürfen auch hinsichtlich der Geschichte der Inquisition nicht erst sehr viel später erkämpfte Errungenschaften zum Hauptausgangspunkt eines Urteils werden. Gerade was einen Zeitabschnitt wie das Mittelalter betrifft, ist es unabdingbar, sich das Weltbild in seiner Einheitlichkeit verstehend anzueignen und sozusagen in einen diachronen interkulturellen Dialog einzutreten, dem die leichten Fallen des Legenden bildenden Vorurteils abhold sind.

Kirche und menschliche Gesellschaft stehen für den mittelalterlichen Menschen in einer unmittelbaren Beziehung. Der kirchliche Kosmos und der gesellschaftliche Kosmos griffen ineinander. Somit bildete ein Angriff auf die Lehre einen Angriff auf die Ordnung der Gesellschaft. Der „Häretiker“ und Ketzer brachte sich nicht nur als Subjekt in den Widerspruch zu einer „Lehrmeinung“. Er bedrohte die innere Ordnung des Staates, der deshalb einer zerstörenden Kraft gegenüber die Initiative ergriff. Dies rechtfertigt selbstverständlich unter einem heutigen Blickwinkel keinesfalls den Zwang und gar die Todesstrafe als Mittel zur Bekämpfung der Ketzer, selbst wenn diese Mittel in erster Linie vom Volk selbst und dabei zunächst noch gegen den Widerstand der Kirche ausgingen.

Wie wichtig auch zum Verständnis dieses Tatbestands eine Kenntnis der historischen Umstände ist, zeigt ein Blick auf den vor 1250 zusammengestellten „Sachsenspiegel“ Eike von Repgows, das älteste Rechtsbuch des Mittelalters. Dieser Blick vermittelt etwas vom alltäglichen Rechtsbewusstsein der Zeit. So wird der Münzer, der Falschgeld ausgibt, mit dem Tode bestraft, und „wer nachts Getreide stiehlt, der verschuldet den Galgen“. Angesichts derartiger drakonischer Regeln erscheint auch die Strafe für den, der die Gesamtordnung bedroht, in einem anderen Licht. Dazu kommt, dass Häresie und Ketzerei der Beleidigung der göttlichen Majestät gleichgesetzt wurden, diese aber als ein noch schwereres Verbrechen angesehen wurde als die Beleidigung der irdischen Majestät.

Das Wichtigste für ein Vordringen zu einem tieferen Verstehen ist zu sehen, dass das mittelalterliche Weltbild theozentrisch ist: Gott ist der Mittelpunkt von allem. Das Ich des individualisierten Menschen, dem heute der Vorrang selbst hinsichtlich des Zuganges zu Gott und zum Geheimnis eingeräumt wird, ist dem Mittelalter in seiner Absolutsetzung fremd. Gott ist nicht der Weg zum Glück, sondern das Glück an sich, dessen Quell und schöpferischer Urgrund. Die Lehre anzugreifen, die dieser Urgrund der Welt offenbart hat und ihr von der Kirche vermittelt wird, kam der schwersten Blasphemie gleich. Die Theozentrik verbindet sich mit einer tiefen Ausgerichtetheit des mittelalterlichen Menschen auf das Jenseits. Er lebt in dieser Welt, insofern er unterwegs ist hin zu Gott, der Fülle des Seins, des Glücks, des Erbarmens, wodurch auch die widrigen Lebensumstände erträglicher werden und in einen Sinnhorizont eingeordnet werden können.

Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, historischen Revisionismus zu betreiben. Notwendig ist ein Ringen um ein Verstehen und eine Kenntnis, die angesagt sind, bevor leichtfertige, vorschnelle und unsachliche Urteile gefällt werden. Dabei darf der Anthropozentrismus der Moderne nicht zur Scheuklappe werden. Der evangelische Rechtshistoriker Adalbert Erler schreibt so im „Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte“ unter dem Stichwort „Inquisition: „Bei einer Betrachtung vom Standpunkt einer pluralistischen, glaubensindifferenten, sich selbst als human verstehenden Gegenwart kann die Inquisition natürlich als ‚finsteres’ Mittelalter erscheinen – sofern der Betrachter nicht anhand des historischen Stoffes zu der warnenden Erkenntnis kommt, dass der Mensch in jeder Epoche, auch wenn er guten Willens ist, der Gefahr entsetzlicher Verirrungen ausgeliefert ist.“

Gewiss: unsere Zeit ist eine Zeit des maximalen Wissen und der maximalen Betonung der Zentralität des Menschen (verbunden mit einer inneren Widersprüchlichkeit, die oft erstaunt). Gerade dies jedoch führt oft hinein in die Gefahr einer „Diktatur des Scheins“, in eine nebulöse Wirklichkeit, in der zum Beispiel jeden Tag Abertausende von Menschen durch technologisch hoch entwickelte Kriege zu Tode kommen. Wie der deutsche Kirchengeschichtler Walter Kardinal Brandmüller einmal sagte: In einem Jahrhundert, in dem in einem Jahr in Deutschland mehr ungeborene Kinder getötet werden als die Inquisition in Jahrhunderten an Todesurteilen gefällt hat, sollte man sich hüten, sich über die Inquisition des Mittelalters zu empören.

Gewiss, es ist schwer, sich nach dem Bruch der europäischen Geschichte, für den die Aufklärung und emblematisch die Französische Revolution stehen, des Empfindens der natürlichen und tragenden Gegebenheit des christlichen Glaubens bewusst zu werden, das für das Mittelalter kennzeichnend ist. Das Leben der Kirche ist davon bestimmt, wie viel Einfluss ihr von der sozio-politischen Gewichtung seitens der Gesellschaft zugebilligt wird, die sich später zunehmend in einen Gegensatz zur Verwirklichung des eigentlichen Menschseins als gottbezogenes Wesen stellt.

Der Blick verzerrt sich: das Autonomiestreben des Subjekts führt dazu, dass es durch die starre Konzentration auf die Selbstverwirklichung den Blick auf die Geschichte verstellt und eines nicht mehr zu erkennen vermag: Irrtum, Abwege und Verbrechen sind nicht das Ergebnis der Wirklichkeiten des Christentums in der Vergangenheit. Sie sind das Ergebnis der Verleugnung, Verzerrung und Perfidie im wörtlichen Sinne. Aufgabe des geschichtlichen Bewusstseins ist es, den Aufbrüchen nachzugehen, deren Realisierungen zu verfolgen, Welt- und Menschenbild einer Zeit zu erfassen, um dann aus einen Reichtum des gereinigten Verständnisses schöpfen zu können. Ohne Schleier, ohne ideologische Beschränktheit, einfach im Dienst an der Wahrheit.

Dem Autor auf Twitter folgen!



Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal!

 





Lesermeinungen

 lustenberger 30. September 2016 
 

"Also: Hexen und Zauberer gibt es nicht, es gibt aber Menschen, die meinen, solche zu sein, und so das Böse hervorbringen. "

und

"Wie der deutsche Kirchengeschichtler Walter Kardinal Brandmüller einmal sagte: In einem Jahrhundert, in dem in einem Jahr in Deutschland mehr ungeborene Kinder getötet werden als die Inquisition in Jahrhunderten an Todesurteilen gefällt hat, sollte man sich hüten, sich über die Inquisition des Mittelalters zu empören. "

So ist das!


1
 

Um selbst Kommentare verfassen zu können müssen Sie sich bitte einloggen.

Für die Kommentiermöglichkeit von kath.net-Artikeln müssen Sie sich bei kathLogin registrieren. Die Kommentare werden von Moderatoren stichprobenartig überprüft und freigeschaltet. Ein Anrecht auf Freischaltung besteht nicht. Ein Kommentar ist auf 1000 Zeichen beschränkt. Die Kommentare geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
kath.net verweist in dem Zusammenhang auch an das Schreiben von Papst Benedikt zum 45. Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel und lädt die Kommentatoren dazu ein, sich daran zu orientieren: "Das Evangelium durch die neuen Medien mitzuteilen bedeutet nicht nur, ausgesprochen religiöse Inhalte auf die Plattformen der verschiedenen Medien zu setzen, sondern auch im eigenen digitalen Profil und Kommunikationsstil konsequent Zeugnis abzulegen hinsichtlich Entscheidungen, Präferenzen und Urteilen, die zutiefst mit dem Evangelium übereinstimmen, auch wenn nicht explizit davon gesprochen wird." (www.kath.net)
kath.net behält sich vor, Kommentare, welche strafrechtliche Normen verletzen, den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen, zu entfernen. Die Benutzer können diesfalls keine Ansprüche stellen. Aus Zeitgründen kann über die Moderation von User-Kommentaren keine Korrespondenz geführt werden. Weiters behält sich kath.net vor, strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.


Mehr zu

Geschichte

  1. Belvedere: Messe im Gedenken an Staatsvertragsunterzeichnung
  2. Königliche Frauen im Petersdom
  3. Zeitgenossen – Jesus der Galiläer, Seneca der Römer
  4. Liebe.Macht.Erfinderisch.: Enthüllungen
  5. Geköpfte Madonna-Statue im Wallfahrtsort Loretto gefunden
  6. In der Höhle des Geächteten - Hörbuchtipp
  7. Die Byzantiner: Kultur und Alltag im Mittelalter
  8. 1517 - 1717 - 1917
  9. Ein Lied für Nagasaki - Leseprobe 4
  10. Ein Lied für Nagasaki - Leseprobe 3






Top-15

meist-gelesen

  1. Werden Sie Schutzengerl für kath.net für mindestens 2024 und 2025!
  2. KOMMEN SIE MIT! EINMALIGE REISE - 13. Oktober 2024 in Fatima + Andalusien!
  3. Oktober 2024 mit kath.net in MEDJUGORJE
  4. Fastenspende für kath.net - Vergelt's Gott!
  5. Roma locuta - causa (non) finita?
  6. Kard. Müller: "Die Deutsch-Synodalen liegen völlig falsch, sind Opfer der eigenen Propagandatricks"
  7. Nach Protesten Schluss mit 'Helnwein-Kunst' im Wiener Stephansdom
  8. Der Synodale Weg liegt an der Leine
  9. Zweifel an Spekulationen um Predigt-Auslassung des Papstes
  10. Oasen in der Wüste. Von der ‚Volkskirche‘ zur ‚Gemeindekirche‘
  11. Als Johannes Paul II. und die Gottesmutter von Fatima den Kommunismus besiegten
  12. Serie ‚Pauline’ erzählt Romanze zwischen einer 18-jährigen und dem Teufel
  13. Die protestantische Missbrauchsstudie entlarvt die Strukturthesen des Synodalen Wegs als unhaltbar
  14. Good News in den USA: Tausende kommen zu eucharistischer Anbetung
  15. 14 Jahre nach Geständnis: Belgischer Skandalbischof Vangheluwe jetzt endlich laisiert

© 2024 kath.net | Impressum | Datenschutz